Protest in Venezuela: "Es geht um die nächste Generation"

Der Protest der Venezolaner währt schon mehr als 100 Tage
Bei Kundgebungen gegen das sozialistische Regime von Präsident Maduro starben schon fast 100 Menschen. Eine Familie erzählt, warum sie trotz der Gefahr weiter demonstriert.

Tränengasgranaten auch auf friedliche Demonstranten, erschossene Oppositionelle und tödliche Attacken auf Sicherheitskräfte: Fast 100 Tote forderten die Demonstrationen auf beiden Seiten in Venezuela. Die Opposition verlangt, unterstützt von Menschenrechtsorganisationen, freie Wahlen, humanitäre Hilfe gegen die katastrophale Versorgungslage im Land und die Freilassung politischer Gefangener. Die sozialistische Regierung von Präsident Nicolás Maduro will mit einer verfassungsgebenden Versammlung die Machtverhältnisse neu ordnen. In diesem Chaos besuchte der KURIER eine Familie, bei der gleich drei Familienmitglieder bei Demonstrationen verletzt wurden.

"Panik ausgelöst"

"An jenem Mittwoch bin ich gemeinsam mit meiner Freundin und einigen Verwandten auf der Autopista Francisco Fajardo unterwegs gewesen", erinnert sich Andres Guinand, 28, an den Tag, an dem er dem Tod nur knapp entkommen ist. Seitdem ist auf seiner Schädeldecke eine große Narbe zu sehen. Als der Protestmarsch von den Sicherheitskräften an einem Einkaufszentrum zum Stoppen gebracht worden sei, habe er rund 300 Meter Abstand gehalten. Dann aber hätten die Sicherheitskräfte ihre Taktik geändert und seien auf die Menschen zugelaufen. "Das hat eine Panik unter den Demonstranten ausgelöst. Meine Freundin und ich haben die Entscheidung getroffen, am Rand der Autobahn Schutz zu suchen." Als die dichten Rauchschwaden des Tränengases unerträglich wurden, versuchte sich Guinand einer Gruppe anzuschließen, die über einen nahe gelegenen Fluss zu fliehen versuchte.

Protest in Venezuela: "Es geht um die nächste Generation"
Bildunterschrift 2: Familie_Caracas_03: Familie_Caracas_01: Foto: Juan Toro Diaz Von links nach rechts: Eduardo Guinand Baldo (80), Andres Guinland (28) und Leopoldo Guinand Baldo (74).
Dann traf Guinand eine der Tränengasgranaten der Nationalgarde am Kopf, seine Beine versagten. "Ich war für ein paar Momente völlig taub." Seine Freundin und andere Passanten, versuchten den Verletzten auf die Beine zu stellen, doch die versagten ihren Dienst. "Ich habe meine Beine nicht mehr gespürt." Augenblicke später konnten freiwillige medizinische Hilfskräfte der Demonstranten Guinand erstversorgen. "Doch trotz der verzweifelten Schreie der Helfer schossen die Sicherheitskräfte immer weiter in unsere Richtung."

Schädelfraktur

Für den schwer verletzten Guinand waren es schreckliche Minuten der Angst. Eine Untersuchung ergab später, der 28-Jährige habe eine Schädelfraktur erlitten, ein Stück der Schädeldecke sei ihm entnommen worden. Trotzdem will der Architekt weiter demonstrieren: "Es ist gefährlich, an einer Demonstration teilzunehmen, aber das ist bei weitem nicht so gefährlich wie das Alltagsleben in unserem Land. Mit all der Kriminalität und Gewalt. Deswegen werde ich wieder hingehen."

In derselben Demonstration, allerdings einige hundert Meter entfernt, wurde auch Eduardo Guinand, 80, verletzt. Wie sein Großneffe Andres ist Eduardo Architekt und "seit Anfang der Proteste auf der Straße", wie er trotz seines fortgeschrittenen Alters stolz betont. "Der Versuch, das Parlament zu entmachten, hat mich dazu bewegt, auf die Straße zu gehen. Seitdem habe ich fast keine Demo verpasst", so Eduardo.

Angst vor Erblindung

Anfang April hatte die Justiz erfolglos versucht, mit einer umstrittenen Entscheidung die Kompetenzen der Nationalversammlung zu beschneiden, seitdem laufen die Massenproteste. Auch Eduardo traf eine Tränengasgranate unter dem Auge. "Ich hatte riesige Angst, blind zu werden", erinnert sich der 80-Jährige. Venezolanische Medien berichten, oft werden diese Tränengasgranaten gezielt in die Menschenmassen abgefeuert, um Angst und Schrecken zu verbreiten, dabei kam es auch zu Todesfällen. "Gott sei Dank ist alles gut gegangen."

Von der brutalen Gangart der Nationalgarde will sich Andres Guinand nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil: All das mache ihn noch entschlossener. "Es geht nicht um mich, es geht um die nächste Generation. Ich will, dass sich endlich etwas ändert." Auch Eduardos jüngerer Bruder Leopoldo, 74, wurde bei den Demonstrationen verletzt. Er kam mit einer Reizung der Atemwege durch das aggressive Tränengas noch relativ glimpflich davon.

"Optimismus"

Die Guinands legen Wert darauf, dass sie keiner politischen Partei angehören: "Aber wir haben natürlich unsere Meinung." Die zum Teil schweren Verletzungen haben die Familie zusammenwachsen lassen. "Wir werden weiter über Politik diskutieren, und wir haben uns dazu entschlossen, weiter auf die Straße zu gehen. Wenn wir jetzt nachlassen, dann haben wir verloren. Und ich will den Optimismus nicht verlieren."

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