Was Sie über den Streit in der Union wissen müssen

Was Sie über den Streit in der Union wissen müssen
Nach tagelangen Diskussionen und Streit um den Kurs in der Asylpolitik setzt sich die Union eine zweiwöchige Frist.

Warum streiten CDU und CSU eigentlich?

Es geht um einen Punkt in Horst Seehofers "Masterplan Migration", den er vor Monaten groß ankündigte, aber noch nicht vorgestellt hat: Flüchtlinge, die in der Fingerabdruckdatei Eurodac registriert sind, sollen nicht über die deutsche Grenze kommen bzw. hier einen Asylantrag stellen. Sie sollen quasi zurück in jenes Land, wo sie erstmals registriert wurden oder schon einen Antrag auf Asyl gestellt haben. Für diese Position hat er die Rückendeckung seiner CSU, die im Herbst eine Landtagswahl gewinnen will. Sie hofft, mit einem harten Flüchtlingskurs die AfD zu bekämpfen. Aus den Reihen der CDU gibt es dafür auch Verständnis, vor allem von jenen, die Merkels Politik in den vergangenen Jahren kritisierten.

Was ist die Position der Kanzlerin?

Die Kanzlerin lehnt die Forderung der CDU nicht aus humanitären Gründen ab. Sie will keinen nationalen Alleingang und sieht vor allem Europa daran zerbrechen: Die Italiener, die sich im Stich gelassen fühlen, würden dies nicht akzeptieren. Auch andere Staaten könnten in einer Kettenreaktion ihre Grenzen schließen, am Ende stünden die Länder im Süden alleine da. Angela Merkel setzt darauf, für Zurückweisungen an der Grenze eine Lösung unter dem Dach der Europäischen Union zu erreichen, und strebt bilaterale Abkommen mit Staaten wie Italien, Österreich oder Griechenland zur Zurückweisung von Flüchtlingen an.

Kann Horst Seehofer gegen Merkels Willen entscheiden?

Nach dem Ressortprinzip leitet jeder Minister seinen Geschäftsbereich in eigener Verantwortung. In die Befugnisse des Ministers direkt hineinregieren darf die Kanzlerin nicht. Minister müssen laut Bundesregierung aber darauf achten, dass Entscheidungen im von der Kanzlerin vorgegeben politischen Rahmen bleiben. „Äußerungen eines Bundesministers, die in der Öffentlichkeit erfolgen oder für die Öffentlichkeit bestimmt sind, müssen mit den vom Bundeskanzler gegebenen Richtlinien der Politik in Einklang stehen“, hat die Bundesregierung in Paragraf 12 ihrer Geschäftsordnung festgelegt.

Was passiert, wenn Seehofer Zurückweisungen an der Grenze anordnet?

Merkels Autorität wäre massiv angekratzt, eigentlich müsste sie ihren Minister entlassen. Zuletzt hat sie das bei Umweltminister Norbert Röttgen getan, der die NRW-Wahl verlor und nicht mehr zu halten war. Was die Kündigung von Seehofer heikel macht: Er ist quasi aus einer anderen Partei, das würde sich die CSU nicht bieten lassen. Allerdings hat sie ihm bei der Pressekonferenz am Montag einen klares Warnsignal gegeben: Es solle keinen Automatismus für eine Zurückweisung ab dem 1. Juli geben, "falls noch nicht alles in trockenen Tüchern ist." Wenn dies dennoch "in Kraft gesetzt" würde, "dann würde ich sagen, ist das eine Frage der Richtlinienkompetenz".

Kommt es dann zum Fraktionsbruch?

Es wäre die logische Konsequenz, hätte für die Regionalpartei schwere Folgen: Dann wäre es vorbei mit der Partnerschaft, stünden sie sich als Konkurrenten gegenüber. Die CDU könnte in Bayern antreten, Befürworter und Initiativen gibt es genug, ein Anwaltspaar hatte dies sogar eingeklagt, weil sie lieber Merkel wählen wollen als Seehofer. Laut Politologen Martin Gross könnte die CDU sogar noch bis 2. August, 18 Uhr, offiziell bekannt geben, ob sie in Bayern antritt. Bis dahin müssten sämtliche Vorbereitungen getroffen worden sein, das heißt: Sie müssen in jedem der sieben Bezirke 2000 Unterschriften sammeln, was sie mittels der Opposition schaffen würden, und Bezirksgruppen gründen. Gross glaubt auch, dass viele die CDU wählen würden. "Und wenn das nur 9-10 Prozent sind, reicht das locker, dass die absolute Mehrheit weg ist." Allerdings würde dann in Folge auch die CSU künftig bundesweit kandidieren, dann könnte sich die CDU aus der Regierung in Baden-Württemberg und Teilen Ostdeutschlands verabschieden, meint der Politologe.

Wie stehen die Chancen, dass die CSU ihre Meinung ändert?

Die Zeichen stehen derzeit auf Konfrontation. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bekräftige heute erneut, Seehofer habe die 100-prozentige Unterstützung seiner Partei. „Wir brauchen eine Neuordnung des Asylsystems“. Würde die CSU heute nachgeben, wäre das für Seehofer und Co ein Gesichtsverlust. Mit ihren Sprüchen und Forderungen haben sie sich weit aus dem Fenster gelehnt, da können sie jetzt kaum noch zurück.

Was wären die weiteren Konsequenzen? Ein vorzeitiges Ende der Großes Koalition?

Die Große Koalition wäre in der jetzigen Form Geschichte. Da Neuwahlen aber kein Automatismus sind, käme wieder einmal Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Spiel, der über folgendes Prozedere bestimmt: Zunächst muss der Bundestag aufgelöst werden, das geht grundsätzlich über die Vertrauensfrage, die die Kanzlerin im Bundestag stellen muss. Wenn sie da keine Mehrheit bekommt, kann der Bundespräsident nach Artikel 68 Absatz 1 den Bundestag binnen 21 Tagen auflösen. Sollte die Kanzlerin nur eine relative, aber keine absolute Mehrheit bekäme, könnte er ebenfalls auflösen. In Artikel 39 ist klar geregelt, was dann zu passieren hat: „Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt.“

Gibt es Alternativen zu Neuwahlen?

Ja, die Kanzlerin könnte sich nach neuen Regierungspartnern umsehen, die für die CSU einspringen. Die Grünen wären gewillt, mit der CDU zu arbeiten, Parteichef Robert Habeck schloss Neuverhandlungen nicht aus. Seine Partei habe bereits gezeigt, dass sie bereit sei, Regierungsverantwortung zu übernehmen (Jamaika-Verhandlungen, Anm). Einziger Haken: Es könnte sich inhaltlich spießen, denn den Abmachungen der GroKo in puncto Flüchtlingspolitik zu Ankerzentren und einem eingeschränktem Familiennachzug können die Grünen kaum zustimmen. Und die FDP? Sie brachte sich am Wochenende zwar ins Spiel, aber Parteichef Christian Lindner erteilte heute eine Absage: „Wir sind kein Notnagel“, sagte er der Passauer Neuen Presse. Er wisse „auch nicht, was das für eine Koalition von wem mit wem werden könnte“.

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