Was Deniz Yücel genau vorgeworfen wird
Gegen den Welt-Korrespondenten Deniz Yücel hat ein Richter in der Türkei Untersuchungshaft verhängt. Aus dem Protokoll der Gerichtsverhandlung vom Montagabend, das der dpa vorliegt, geht hervor, dass Yücel nicht nur Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, sondern auch für die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen wird.
Von den Behörden wird diese als "Fetö" (Fetullah Terrororganisation) bezeichnet. Die Regierung macht Gülen für den Putschversuch von Juli 2016 verantwortlich. Gülens Bewegung und die PKK werden in der Türkei als Terrororganisationen eingestuft. Außerdem wird Yücel beschuldigt, "das Volk offen zu Hass und Feindschaft aufzuhetzen", also Volksverhetzung betrieben zu haben.
Zu den Reaktionen: Türkischer Botschafter in Deutschland in Auswärtige Amt zitiert
Die Vorwürfe betreffen allesamt Artikel des Welt-Korrespondenten. Yücel sagte bei der Verhandlung ausweislich des Protokolls: "Die Anschuldigungen des Staatsanwalts zu Terrorpropaganda und Volksverhetzung weise ich zurück." Er habe auch Artikel geschrieben, die die PKK kritisierten. "Es ist nicht meine Absicht, Propaganda zu machen." Er verteidige in seinen Artikeln außerdem, dass gegen Putschisten vorgegangen werde.
Yücels Anwalt Ferat Cagil bemängelte laut Protokoll die Qualität der Übersetzung von Yücels Artikeln ins Türkische. Sie seien in einer Art übersetzt worden, dass sie gegen Yücel verwendet werden könnten.
Bei den Vorwürfen geht es etwa um ein Interview mit dem PKK-Anführer Cemil Bayik, das am 23. August 2015 erschien. Yücel wird vorgeworfen, er habe "den Aussagen des Organisationsführers Cemil Bayik über den Präsidenten der Republik Türkei Platz eingeräumt und damit den Eindruck erweckt, dass die PKK-Terrororganisation eine legitime Organisation wäre". In einem anderen Artikel habe er den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan als "Oberbefehlshaber der PKK" bezeichnet, was ebenfalls als Propaganda gewertet wurde.
"Volksverhetzung"
Außerdem habe Yücel kurz nach dem Umsturzversuch vom Juli 2016 geschrieben, "dass es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass die Fetö-Terrororganisation den Putsch durchgeführt hat", heißt es in dem Protokoll. Er betreibe damit "Propaganda für die Organisation". Yücel habe außerdem geschrieben, dass Erdogan "mittels eines Referendums seiner Diktatur Macht verleihen will".
Zum Vorwurf der Volksverhetzung heißt es im Protokoll, Yücel habe in einem Artikel einen Witz über Kurden und Türken zitiert. Damit "hetzt er die verbrüderten türkischen und kurdischen Bürger offen zu Hass und Feindschaft gegeneinander auf". Zum selben Vorwurf und zum Vorwurf der Propaganda wird in dem Protokoll ein weiterer "unwahrer" Text Yücels über eine "vermutlich von Sicherheitskräften" getötete 19-Jährige in den Kurdengebieten angeführt.
Der Haftrichter schloss aus den vorliegenden "Beweisen" auf einen "dringenden Tatverdacht" dahingehend, dass "der Verdächtige die ihm angelasteten Straftaten begangen hat". Daher könne Yücel nicht unter Auflagen freigelassen werden, heißt es in dem Protokoll.
Empörte Reaktionen
Die nunmehr verhängte Untersuchungshaft gegen Deniz Yücel sorgt europaweit für empörte Reaktionen und Solidaritätsbekundungen.
Am Dienstagabend wurde der türkische Botschafter in Deutschland, Kemal Aydin, ins Auswärtige Amt zitiert worden. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte, Staatsminister Walter Lindner habe in seinem Auftrag mit dem Botschafter ein Gespräch geführt. Gabriel sieht die deutsch-türkischen Beziehungen durch die Inhaftierung des Welt-Korrespondenten Yücel massiv belastet. Das Verhältnis beider Länder "steht gerade vor einer der größten Belastungsproben in der Gegenwart", sagte er in Berlin (mehr dazu hier).
Am Axel-Springer-Gebäude in Berlin, Sitz der Welt, prangte der Schriftzug #freedeniz (siehe Bild unten). Unter dem Hashtag brachten hunderte Journalisten-Kollegen und Sympathisanten ihre Unterstützung zum Ausdruck. Auch in Österreich wird der Fall Yücel mit Bedenken aufgenommen. "Die Verhängung der U-Haft stellt eine dramatische Wende in der Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei dar", sagte Franz C. Bauer, Chef der österreichischen Journalistengewerkschaft, zum KURIER.
VÖZ-Präsident Thomas Kralinger erinnerte daran, dass die türkische Verfassung eigentlich die Freiheit der Presse und die Meinungsfreiheit garantieren würde. "Die Türkei unterzeichnete die UN-Menschenrechtskonvention, die in Artikel 19 das Recht jedes Menschen auf freie Meinungsäußerung einschließlich des Rechts, seine Meinung zu verbreiten und die Meinungen anderer zu hören, garantiert. Artikel 19 verbietet eine staatliche Zensur. Denis Yüzel hat seinen Job als Journalist gemacht, nichts Anderes." In den letzten Jahren habe sich die Arbeitssituation der Journalisten in der Türkei und seit 2014 auch der ausländischen Korrespondenten jedoch ständig verschlechtert. "Mit der Verhaftung von Deniz Yüzel ist ein neuer und nicht mehr tolerabler Tiefpunkt erreicht."
Kommentare