Warum der Papstbesuch in Dublin nicht nur Begeisterung auslöst
Um den Papst treffen zu können, verschoben Derek und Claire Burke aus dem südwestirischen Cork ihre Hochzeitsreise um einen Monat. Gemeinsam mit 39 anderen frisch verheirateten Paaren werden sie am morgigen Sonntag in der St. Mary’s-Kathedrale in Dublin eine spezielle Segnung von Franziskus erhalten. „Es ist unglaublich. Der Papst ist so eine beeindruckende Persönlichkeit. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir mitausgewählt wurden“, freut sich der 27-Jährige auf die Zeremonie. Auch seine Mutter ist euphorisch: „Ich kann mir keinen besseren Start ins Eheleben vorstellen!“
Nicht alle Iren sehen dem zweitägigen Besuch des Papstes in Irland an diesem Wochenende anlässlich des katholischen Weltfamilientreffens so begeistert entgegen. Mary Coll wird Sonntagfrüh von ihrer Heimatstadt Limerick nicht zur Papstmesse in Dublin fahren, sondern in das westirische Tuam. Dort wird sie an einer Gedenkveranstaltung vor einem früheren katholischen Waisenheim teilnehmen, wo 2014 ein Massengrab mit 800 Kinderskeletten entdeckt wurde.
Wie eine spätere Untersuchung ergab, waren viele der Kinder zwischen 1925 und 1975 an Unterernährung und heilbaren Krankheiten gestorben – und nach ihrem Tod von den Nonnen, die das Heim führten, wie Abfall entsorgt worden. „Das ist mein Protest gegen das, was die katholische Kirche in Irland angerichtet hat“, sagt Coll.
Irland galt lange Zeit als katholisches Vorzeigeland Westeuropas. Bis in die 1980er-Jahre gab die Kirche die Moralvorstellungen vor, diktierte Politikern Gesetze und betrieb das Schul- sowie Gesundheitswesen.
Als Papst Johannes Paul II. 1979 als erster Pontifex Irland besuchte, wurde ihm ein Empfang wie sonst kaum wo zuteil. Ältere Iren erinnern sich noch an die „kollektive Begeisterung“. In den 80er-Jahren setzte eine Säkularisierung ein. Die Wirtschaft im früheren Armenhaus Westeuropas boomte und öffnete das Land.
Die Kirche verlor langsam ihre alles dominierende Stellung. In den 1990er-Jahren schockierten Enthüllungen über massenhaften Missbrauch von Kindern durch irische Priester die Gesellschaft. Bischöfe hatten jahrelang geholfen, Täter zu decken. Auch die Behandlung unverheirateter Mütter schadeten dem Ansehen der Kirche enorm.
„Als Johannes Paul II. nach Irland kam, war ich 13 Jahre alt. Nur ein Jahr später wurde ich das erste Mal von einem Priester vergewaltigt“, sagt Colm O’Gorman, der sich seit mehr als zehn Jahren für Missbrauchsopfer in Irland einsetzt. „Der Papst erklärte damals, er liebe alle jungen Menschen in Irland. Aber das tat er nicht. Sonst hätte er uns geschützt, nicht seine Institution, seine Macht und sein Vermögen. Er lieferte uns den Pädophilen aus.“
Papst Franziskus wird bei seinem Besuch eine völlig andere irische Gesellschaft vorfinden als Johannes Paul II. im Jahr 1979. Damals besuchten 90 Prozent aller Iren zumindest einmal in der Woche die Messe. Heute sind es zehn Prozent. 2015 stimmten die Iren mit 62 Prozent für die Einführung der Homo-Ehe. Im heurigen Mai votierten zwei Drittel für die Aufhebung des Abtreibungsverbots in der Verfassung. 35 Jahre davor hatten die Iren noch mit ähnlicher Mehrheit für dieses Verbot gestimmt.
Kritik an Papstmesse
Bei der Papst-Messe am morgigen Sonntag werden dennoch mehrere hunderttausend Menschen erwartet. Unter ihnen wird der Abgeordnete Ronan Mullen sein. Ihn stört die „einseitig negative“ mediale Berichterstattung. „Viele hauen auf die Kirche hin, wollen aber nicht anerkennen, wie viel Gutes diese immer noch im sozialen Bereich tut.“
Einige tausend Plätze bei der Freiluft-Messe werden jedenfalls frei bleiben – dank der Internetkampagne „Say No to the Pope“ (Sag Nein zum Papst). Hunderte Iren taten sich über Facebook zusammen und reservierten online kostenlose Tickets für die Papstmesse, wohl wissend, dass sie diese nicht besuchen werden. Ein Facebook-Nutzer gab an, sich unter dem Namen „Jesus Christus“ 1312 Karten gesichert zu haben. Regierungschef Leo Varadkar verurteilte die Kampagne. Sie sei „böswillig“ und nehme Interessierten die Chance, den Papst zu sehen. Doch auch Varadkar selbst zeugt davon, wie sehr sich Irland gewandelt hat: Er ist bekennender Homosexueller.
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