Wahlen in NRW: Schulz' schwärzeste Stunde
Nein, dass sich die Geschichte wiederholen könnte, daran will man bei der SPD gar nicht denken. "Ich glaube keinen Umfragen mehr", sagt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft noch, als sie am Sonntag ihre Stimme abgibt. Dabei lächelt sie wie immer in den vergangenen Tagen. Ihr Parteichef Martin Schulz schaut zeitgleich schon wenig hoffnungsfroh drein: "Landtagswahlen sind Landtagswahlen", sagt er in seiner Heimatstadt Würselen, als er seinen Stimmzettel einwirft.
Schulz baut vor, für die schwärzeste Stunde, die ihm noch schlagen wird. Denn um 18 Uhr wiederholt sich die Geschichte tatsächlich: Jene vom März, als man im Saarland gegen die CDU verlore, jene von vor einer Woche, als man in Schleswig-Holstein nicht glauben wollte, dass die CDU wieder vorn ist, und jene von 2005, als die SPD das erste Mal ihre "roten Herzkammer" an die CDU abgeben musste: 34,5 Prozent, vier Prozentpunkte mehr als die SPD, holt die CDU mit ihrem Chef Armin Laschet am Sonntag. Für die Genossen ist das das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte – und dieses Donnergrollen ist bis nach Berlin zu hören: Damit steht es 3:0 für Merkel.
"Gottkanzlertum"
Kraft tritt zurück
Auch der SPD-Chef selbst scheint das zu spät registriert zu haben. "Gewinnen wir in Nordrhein-Westfalen, werde ich Bundeskanzler", sagte er noch vor einigen Wochen selbstbewusst – dass er damit auch seine eigene Fallhöhe vorgab, schien ihm nicht bewusst. Sein Verweis darauf, dass es sich jetzt ja "nur um eine Landtagswahl" handle, scheint darum wenig verwunderlich, denn ihm steht in den nächsten Tagen viel Kritik aus den eigenen Reihen bevor. Hannelore Kraft hat jedenfalls bereits die Konsequenz gezogen und ist zurückgetreten.
Schulz hat zwar nach der Niederlage eingestanden, "dass wir nachdenken müssen, was wir hier in Berlin ändern müssen", doch im Zentrum dieses Prozesses wird wohl er selbst stehen. Schon in den Tagen vor der NRW-Wahl wurde ruchbar, dass es viele Unzufriedene in der Partei gibt, die Schulz’ naives Herangehen an den Wahlkampf kritisieren. Warum er sich so lange zurückgezogen habe, warum er anfangs für eine rot-rot-grüne Koalition geworben, sich später davon distanziert habe, lauten die Vorwürfe. Wenn nun in NRW die SPD auch noch eine Große Koalition mit der CDU geingehen muss – derzeit sieht es danach aus, weil die Grünen (6 Prozent) und die FDP (14) zu wenig für eine Koalition hätten –, wäre das eine weitere Schmach: Die SPD könnte nur als kleiner Partner in ihrem Stammland regieren.
Doppelsieg für Merkel
Angela Merkel wird all dies genüsslich beobachten. Sie kann, so ihr Team keine gravierenden Fehler macht, relativ zurückgelehnt auf ihre vierte Amtszeit im Kanzleramt hinarbeiten, denn der Sieg in NRW ist gleich eine mehrfache Genugtuung für sie. Nicht nur, dass sich damit die historische SPD-Niederlage von 2005 wiederholt, die Gerhard Schröder alles hinwerfen ließ und die Merkel ins Kanzleramt beförderte. Auch, dass mit dem als "Türken-Armin" verspotteten CDU-Chef einer gewonnen hat, der wie kaum ein anderer für Merkels Flüchtlingskurs steht, stärkt sie und ihre Agenda: Die NRW-CDU fokussierte sich auf das Thema Sicherheit, einen ähnlichen Schwerpunkt wird die Bundespartei wohl über den Sommer wählen.
Dass Laschet mit dem Slogan "Zuhören, entscheiden, handeln" gewinnen konnte, bleibt da noch als boshafte Fußnote der Geschichte: Mir denselben Worten war einst Ex-Kanzler Schröder in die Wahl gezogen – und verlor.
Nicht nur die Größe ist es, die Nordrhein-Westfalen so besonders macht: Das größte Bundesland stellt 22 Prozent aller deutschen Wahlberechtigten – das war und ist vor allem für die SPD ein wichtiger Faktor bei Bundestagswahlen. Durch die starke Verankerung von Gewerkschaften im Ruhrgebiet galt NRW lange als Stammland der Genossen; seit 1995 ist es auch ein Garant für politische Zäsuren. Nachdem die SPD 1995 die Absolute verloren hatten, koalierte man erstmals mit den Grünen. Dieses Modell kopierte Gerhard Schröder drei Jahre später erfolgreich im Bund.
2005 war es dann konsequenterweise die Landtagswahl im "Bindestrich-Land", wie NRW wegen seiner zwei unterschiedlichen Landesteile gern genannt wird, die Schröders Karriere beendete. Weil die CDU erstmals seit 1966 vor der SPD gelandet war, stellte der damalige Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage. Die folgende Wahl war der Beginn der Ära Merkel. Dass ihre Kanzlerschaft nun ausgerechnet aus NRW einen Schub bekommt, wird die SPD darum besonders schmerzen: 2005 waren ihr die Wähler wegen der enormen Widerstände gegen die Agenda 2010 abhanden gekommen. Und Schulz’ Ankündigung, Teile der Hartz-Reformen wieder zurückdrehen zu wollen, hat offenbar nicht gefruchtet.
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