Von Seipel bis Putin: Wenn starke Männer "zur Seite treten"

Von Seipel bis Putin: Wenn starke Männer "zur Seite treten"
Djukanovic spielt seit drei Jahrzehnten Ämterslalom - Slowakische Premiers Fico und Matovic wollten Regierungen retten.

Politischer Druck, Justizermittlungen oder Amtszeitbeschränkungen: Wenn sich starke Männer in die zweite Reihe zurückziehen, kann das verschiedene Gründe haben. Und genauso offen ist auch, ob es nach dem Rückzug ein Comeback gibt. Ein Überblick:

IGNAZ SEIPEL: Der Chef der österreichischen Christlichsozialen erklärte im November 1924 im Konflikt um die Sanierungspolitik der Genfer Protokolle seinen Rücktritt als Bundeskanzler. Große Teile der Partei, insbesondere in den Bundesländern, wollten seine Politik nämlich nicht mittragen. Der katholische Geistliche Seipel schlug danach den Salzburger Landespolitiker Rudolf Ramek als seinen Nachfolger vor. Dieser war aber auch ein enger Vertrauensmann des Parteichefs. Im Oktober 1926 feierte Seipel ein Comeback als Regierungschef, wobei er im Kampf gegen die erstarkenden oppositionellen Sozialdemokraten einen "Bürgerblock" schmiedete. Im April 1929 trat er neuerlich zurück, ein Jahr später legte er auch sein Amt als Parteichef nieder.

Putin verkündete, dass seine Tochter bereits geimpft worden sei

WLADIMIR PUTIN: Seit 22 Jahren hält der Kreml-Chef die Zügel der russischen Politik in der Hand, doch zeitweise war er auch die Nummer 2. Im August 1999 vom damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin zum Ministerpräsidenten ernannt, folgte er Jelzin nach dessen Rücktritt als Präsident nach. Weil er bei der Präsidentenwahl 2008 nach zwei Amtszeiten nicht mehr neuerlich antreten durfte, zog sich Putin auf den Posten des Ministerpräsidenten zurück. Zum Präsidenten wählen ließ er seinen Vertrauten Dmitri Medwedew. Bei der Präsidentenwahl 2012 kehrte der starke Mann in den Kreml zurück, wobei er die Amtszeitbeschränkung in der Zwischenzeit aus der Verfassung entfernen und die Mandatsperiode des Staatschefs auf sechs Jahre verlängern ließ. Die nächste Wiederwahl steht für das Jahr 2024 bevor.

Von Seipel bis Putin: Wenn starke Männer "zur Seite treten"

MILO DJUKANOVIC

MILO DJUKANOVIC: Der langjährige Parteichef der montenegrinischen Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) hat den strategischen Ämterwechsel geradezu perfektioniert. Im Jahr 1991 zum Ministerpräsidenten der kleinen Adriarepublik gewählt, stürzte er 1997 den DPS-Chef Momir Bulatovic und verdrängte ihn 1998 auch aus dem Amt des Präsidenten. 2002 wurde er neuerlich Ministerpräsident, doch gab er das Amt schon im Jahr 2006 an seinen engen Vertrauten Zeljko Sturanovic ab. Djukanovic behielt aber als Abgeordneter und DPS-Chef die Zügel der Politik weiter in der Hand. Schon Anfang 2008 kehrte er wieder auf den Posten des Ministerpräsidenten zurück. Unter dem Druck von internationalen Korruptionsermittlungen trat er Ende 2010 neuerlich zurück, wobei diesmal sein Finanzminister Igor Luksic übernahm. Nach dem DPS-Sieg bei der Parlamentswahl feierte Djukanovic Ende 2012 ein neuerliches Comeback als Premier. Nach einem Rückschlag bei der Wahl 2016 zog er sich zugunsten seines engen Vertrauen Dusko Markovic zurück. Im April 2018 ließ sich Djukanovic dann zum Staatspräsidenten wählen. Von diesem Posten aus mischt er weiterhin in der montenegrinischen Politik mit, obwohl es bei der Parlamentswahl 2020 erstmals nach drei Jahrzehnten zu einem Machtwechsel zugunsten der pro-serbischen Opposition kam.

Von Seipel bis Putin: Wenn starke Männer "zur Seite treten"

ROBERT FICO: Eine Regierungskrise und wochenlange Massenproteste infolge der Ermordung des Journalisten Jan Kuciak bewogen den slowakischen Ministerpräsidenten im März 2018 zum Rücktritt. Der langjährige Premier wollte damit die Regierungsmacht für seine linkspopulistische Partei Smer (Richtung) sichern, was vordergründig auch gelang. Ficos Vertrauter und Stellvertreter Peter Pellegrini wurde neuer Regierungschef. Allerdings ging der Plan des Smer-Chefs, als Parteichef weiter die Fäden ziehen zu können, nicht auf, weil er nach zahlreichen Korruptionsaffären massiv an Legitimität verloren hatte. So trat Pellegrini als Smer-Spitzenkandidat bei der Parlamentswahl im Februar 2020 an. Pellegrini erzielte ein respektables Ergebnis, konnte den Machtwechsel aber nicht verhindern. Nach einem innerparteilichen Machtkampf mit Fico gründete Pellegrini die Partei Hlas (Stimme), die Umfragen zufolge mittlerweile die beliebteste Partei des Landes ist, deutlich vor den konservativen Regierungsparteien und Ficos Smer.

FILE PHOTO: Jaroslaw Kaczynski, leader of the ruling Law and Justice (PiS) party, attends a vote during parliamentary elections at a polling station in Warsaw,

JAROSLAW KACZYNSKI

IGOR MATOVIC: Der Chef der rechtsgerichteten Anti-Establishment-Partei Olano (Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten) zog sich im heurigen März nach nur einem Jahr als slowakischer Regierungschef zurück. Der Grund war eine tiefe Regierungskrise, in der zwei Koalitionspartner ultimativ seinen Rückzug gefordert hatten. Der Grund dafür war Matovic' eigenmächtige Entscheidung, den in der EU nicht zugelassenen russischen Impfstoff Sputnik V ins Land zu holen. Die Lösung der Krise war eine Rochade innerhalb der Regierung: Matovic tauschte mit dem bisherigen Finanzminister Eduard Heger, der als Vertreter des gemäßigten Olano-Flügels gilt, die Plätze. Umfragen prophezeien der Partei, die im Februar 2020 überraschend die Parlamentswahl gewonnen hatte, infolge der chaotischen Regierungsführung einen Absturz.

JAROSLAW KACZYNSKI: Das Paradebeispiel des Fädenziehers im Hintergrund ist der Chef der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Diese Rolle hat ganz persönliche Gründe, bildete er doch mit seinem Zwillingsbruder Lech Kaczynski ein politisches Tandem an der Parteispitze. Als die PiS im September 2005 die Parlamentswahl gewann, verzichtete Jaroslaw Kaczynski auf den Posten des Ministerpräsidenten, um die Chancen seines Bruders bei der kurz darauf stattfindenden Präsidentenwahl nicht zu gefährden. Doch schon im Mai 2006 übernahm Jaroslaw Kaczynski das Premiersamt, nachdem der als "Strohmann" vorgesehene Ministerpräsident Kazimierz Marczinkiewicz in der Bevölkerung zu beliebt geworden war. Ein Jahr später zerbrach die Regierung und wurde abgewählt. Nachdem er sich bei der Präsidentenwahl 2010 erfolglos um die Nachfolge seines verstorbenen Bruders bemüht hatte, schickte Kaczynski fünf Jahre später seinen engen Vertrauten Andrzej Duda ins Rennen. Duda gewann, und wenige Monate später kam es bei der Parlamentswahl zu einem Sieg der PiS. Wieder hatte sich Kaczynski auf die Rolle im Hintergrund beschränkt, während Spitzenkandidatin Beata Szydlo zur Regierungschefin wurde. Nach internen Spannungen im Regierungslager zog Kaczynski die politischen Zügel wieder stärker an und trat im Oktober 2020 als Vizepremier in die Regierung ein.

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