Vernagelte Läden, Rechtsstreit und Angst vor Gewalt
Drive-in, das gehört in Amerikas endlosen Vorstädten zu den Ritualen des Alltags. Ob Medikamente, Fast Food, oder sogar den Segen eines Geistlichen, all das kann man sich im Vorbeifahren durchs Autofenster reichen lassen. Warum also nicht auch den Wahlzettel? In mehreren Bundesstaaten sind solche Drive-in-Wahllokale in den vergangenen Wochen eingerichtet worden – und auch um die ist im Wahlkampffinale ein heftiger Rechtsstreit entbrannt.
Die Identität der Wähler sei nicht ausreichend geprüft, die verwendeten Tablet-Computer nicht sicher, behaupten die Republikaner in Texas und sind vor Gericht gezogen: Hunderttausende Stimmen – natürlich in einem Wahlkreis mit demokratischer Mehrheit – sollen so für ungültig erklärt werden. In der ersten Runde vor dem Bezirksgericht abgeschmettert, geht man nun vor ein Bundesgericht in Washington.
Nur eines von Dutzenden Gerichtsverfahren, die derzeit überall in den USA laufen. Es geht um die Gültigkeit von Unterschriften auf Briefwahl-Kuverts oder um das Ende der Auszählungsfrist, vor allem aber geht es um eines: Lässt sich ein Ergebnis, das einem der Kandidaten nicht passt, vor Gericht noch nachträglich abändern oder zumindest verzögern?
Brennpunkt Pennsylvania
Etwa 20.000 Rechts-Experten haben die Parteien im ganzen Land engagiert, um bei jeder Möglichkeit einer Wahl-Anfechtung rasch zu-, oder natürlich auch zurückschlagen zu können. Der Großteil dieser Juristen-Einsatztruppen ist in den Swing States im Einsatz, also jenen Bundesstaaten, in denen die Mehrheit für einen der beiden Kandidaten nicht ohnehin feststeht, die also diese Wahl entscheiden.
Eine der knappesten Entscheidungen wird in Pennsylvania erwartet. Nicht umsonst haben Biden, aber vor allem Trump in diesem Industriestaat im Osten der USA in den letzten Tagen Auftritte am laufenden Band absolviert (siehe auch Reportage Seite 9). Vor allem Trump scheint entschlossen, diesen Bundesstaat auf keinen Fall verloren zu geben – egal mit welchen Mitteln.
„Mit den Anwälten rein“
„Wir gehen da mit unseren Anwälten rein, sobald die Wahl vorüber ist“, drohte der Präsident bei einem seiner letzten Auftritte vor dem Wahltag. Joe Biden konterte umgehend: „Wir werden nicht zulassen, dass dieser Präsident die Wahl stiehlt.“
Bisher ist allerdings nicht einmal klar, wann in Pennsylvania ein Ergebnis verkündet werden kann. Schließlich dürfen in dem Bundesstaat Briefwahlstimmen, die vor dem Wahltag aufgegeben wurden, noch bis Freitag gezählt werden. Auch andere Staaten wie Ohio wollen auch nach dem Ende des heutigen Wahltags noch weiterzählen.
Auch gegen diese verlängerten Auszählungen laufen natürlich bereits zahlreiche Gerichtsverfahren. Doch noch größer als die Angst vor einem überraschenden Urteil ist bei den Demokraten jene, dass Trump sich schon in der Wahlnacht nicht an die Spielregeln hält. Laut dem Nachrichtensender CNN gibt es verlässliche Berichte, dass der Präsident sich in Pennsylvania zum Sieger erklären will, ohne das Endergebnis abzuwarten. Die traditionell hohe Wahlbeteiligung der Republikaner am Wahltag – die Demokraten sind bei den Briefwählern stärker – könnte ihm einen frühen Vorsprung einbringen und damit die Gelegenheit, den Sieg für sich zu beanspruchen.
Fanatiker auf Crash-Kurs
Auch wenn das natürlich nur eine politische Geste und kein rechtsgültiges Ergebnis wäre, könnte es die ohnehin aufgekratzten Fans des Präsidenten in Rage versetzen. Seit Tagen halten die nicht nur Auto-Paraden mit Fahnen und Transparenten überall im Land ab, sondern blockieren vorübergehend auch Autobahnen, etwa im Großraum Los Angeles und New York. Auch von ersten Zusammenstößen mit Wahlkampf-Fahrzeugen des Biden-Team wird berichtet. Die Angst vor Ausschreitungen erfasst aber auch die Innenstädte. Luxusläden, etwa in Beverly Hills oder in Manhattan, sind verbarrikadiert. Sogar das Weiße Haus hat im letzten Moment einen Extra-Zaun bekommen, der ein Überklettern unmöglich macht.
Die Angst vor Chaos wächst aber nicht nur bei den Behörden, sondern auch bei der Bevölkerung. Laut einer aktuellen Umfrage ist nur mehr jeder vierte Amerikaner überzeugt, dass diese Wahl friedlich über die Bühne geht.
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