Venezuela am Abgrund: Nach 26 Jahren Chavismus herrschen Armut und Korruption

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Der Mindestlohn im Land liegt mittlerweile bei unter 50 US-Cent. Viele Menschen im Land setzen ihre Hoffnungen auf US-Präsident Donald Trump.

von Matteo Thaler aus Caracas

Der 10. Oktober war eigentlich ein historischer Tag für Venezuela. Die Oppositionsführerin María Corina Machado war mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden - für ihren Kampf für einen gerechten und friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Die Emotionen im Land waren zwar spürbar. Und doch reagierten die Venezolaner - ungewöhnlich für ihr karibisches Temperament - nur zurückhaltend. Die Nachricht wurde, wenn überhaupt, nur diskret erwähnt. Denn man weiß nie, wer zuhört. 

Die jahrzehntelange Repression hat in dem südamerikanischen Land ein Klima der Angst geschaffen. Bürger sind es gewohnt, zu schweigen und Gespräche auf ihren Handys zu löschen. Ein einziges missdeutetes Wort könnte im Falle einer Festnahme Gefängnis bedeuten.

26 Jahre Chavismus

Auch sonst haben 26 Jahre des Chavismus - 14 unter Hugo Chávez, zwölf unter Nicolás Maduro - ihre Spuren hinterlassen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch der demokratische Leuchtturm Lateinamerikas, ist Venezuela heute das zweitkorrupteste Land der Welt. Wirtschaftlich liegt es am Boden: Die Inflation liegt 2025 bereits bei 16,6 Prozent, der Mindestlohn mittlerweile bei unter 50 US-Cent. Im Vorjahr lebten 86 Prozent der Haushalte in Armut. Neun Millionen Menschen haben bereits das Land verlassen - es ist die größte Fluchtbewegung Amerikas.

Auf öffentliche Dienstleistungen im Land ist kein Verlass: Strom-, Wasser- und Gasausfälle sind alltäglich. Batterien, Wassertanks und Feuerholz reichen nicht aus, um diese Probleme zu lösen. Bildung und Gesundheitsversorgung sind zum Luxus geworden: Der durchschnittliche Bürger kann sich weder eine Versicherung noch Privatkliniken leisten. Die öffentlichen Krankenhäuser haben keine Medikamente, und wer eingeliefert wird, muss sie selbst kaufen. Dass Patienten mit Notfällen auf Crowdfunding-Kampagnen zurückgreifen müssen, ist keine Seltenheit.

An den Universitäten fehlen Professoren. Viele sind wegen niedriger Gehälter ausgewandert. Die Studierenden haben nicht genug Geld, um ihre Ausbildung zu bezahlen. Die Grund- und Sekundarschulen, lange Zeit die letzte Hoffnung vieler Kinder auf eine ausreichende Ernährung, bieten keine Mahlzeiten mehr an, und die meisten sind ohnehin nur drei Tage pro Woche geöffnet.

Staatliche Zensur

Unter dem Chavismus wurde zudem der Journalismus nahezu ausgelöscht. Viele Reporter flohen ins Exil, andere gaben den Beruf wegen der Risiken ganz auf. Maduro kontrolliert das Mediensystem; auch private Fernsehsender sind stark zensiert. So führte bereits die bloße Erwähnung von Machados Nobelpreis zur Suspendierung zweier Radio-Moderatoren. Heute stehen 21 Journalisten auf der Liste der 845 politischen Gefangenen in Venezuela – isoliert, ohne Kontakt zu Familie oder Anwälten.

Politische Gegner werden brutal unterdrückt. Machado wurde 2023 mit 92 Prozent der Stimmen zur Oppositionsführerin gewählt. Seitdem versuchte die Regierung, ihre Kandidatur zu verhindern. Sie wurde disqualifiziert, stattdessen trat der Diplomat Edmundo González Urrutia bei der letzten Präsidentschaftswahl 2024 an. Zusammen erreichten sie einen überwältigenden Sieg mit über 67 Prozent der Stimmen.

Armut und Korruption

Doch der Machtwechsel scheiterte. Die Regierung von Maduro nutzte rechtliche, politische und gewaltsame Tricks, um sich die Wahlen zu stehlen. González Urrutia wurde nach Spanien verbannt und Machado gezwungen, abzutauchen, um einer Verhaftung zu entgehen.

Trotzdem führt sie die Demokratiebewegung weiterhin an und organisierte friedliche Märsche. Den letzten Aufruf machte sie im Jänner 2025. Dabei wurde sie von Sicherheitskräften festgenommen und gezwungen, in den Untergrund zu gehen. Nun sendet sie von dort Botschaften der Hoffnung an die Venezolaner.

Die USA als Gegner

In dieser Situation ruft Maduro die Bevölkerung nun dazu auf, das Vaterland gegen die imperiale Präsenz in der Karibik zu verteidigen, wie der Machthaber die US-amerikanischen Streitkräfte nennt, die sich derzeit vor der Küste Venezuelas im Rahmen einer Operation gegen den Drogenhandel befinden. 

Maduro, der als Kopf des Drogenkartells "Cartel de los Soles" bezeichnet wird, versichert, die Regierung von US-Präsident Donald Trump strebe nur einen Regimewechsel in Venezuela an, und befiehlt Polizei und Militär, gegen den Feind zu patrouillieren. Seine Anhänger trainieren mit Stöcken und Waffen aus dem Kalten Krieg.

Dabei setzen andere Venezolaner ihre Hoffnungen auf die Vereinigten Staaten. Weit davon entfernt, eine militärische Intervention zu fürchten, wünschen sie sich eine rasche Beseitigung der Machthaber, die unter anderem von der UNO schwerer Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden.

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