„Das Urteil ist sehr unbeliebt. Selbst in roten Bundesstaaten (republikanische Hochburgen, Anm.) haben sich Wähler aus dem gesamten politischen Spektrum für den Zugang zu Abtreibungen ausgesprochen“, sagt Jellison zum KURIER.
Mehrheit für Abtreibungsrecht
Die Mehrheit der US-Amerikaner befürwortet das Recht auf Schwangerschaftsabbruch mittlerweile. Das half den Demokraten schon bei den Zwischenwahlen zum Kongress 2022, ihre Verluste entgegen der Prognosen deutlich zu begrenzen. Auch in Umfragen zu einem möglichen Rückkampf zwischen Biden und Trump liegt Biden bei diesem Thema weit vorne. Die Expertin erklärt: „Vielen Menschen ist erst nach dem gekippten Abtreibungsrecht bewusst geworden, dass sie Pro-Choice - also für die Entscheidungsfreiheit in dieser Frage - sind."
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Biden und seine Vize Kamala Harris versuchen derzeit, sich genau das zunutze zu machen. Die beiden versprechen, die Möglichkeit von Abtreibungen zu verteidigen. Und sie warnen lautstark davor, dass weitere Frauenrechte in Gefahr sind, sollte Trump wiedergewählt werden. Aber was meinen sie damit genau?
Welche Einschränkungen sind noch denkbar?
„Sehr rechte Republikaner, die in manchen Bundesstaaten an der Macht sind, wollen den Zugang zu Verhütungsmitteln einschränken“, nennt Jellison ein Beispiel. Es gebe die Befürchtung, „dass die Abschaffung des Abtreibungsrechts die Hemmschwelle für die Abschaffung reproduktiver Rechte im Allgemeinen gesenkt haben könnte.“
In den USA werden die Kosten für Langzeitverhütungsmittel, etwa Spiralen, meist von der vom Arbeitgeber bezahlten Krankenversicherung übernommen. Das ist im Affordable Care Act verankert, ein noch von der Regierung Barack Obamas verabschiedetes Gesundheitsgesetz.
Um das tatsächlich landesweit zu ändern, bräuchten die Republikaner nicht nur die Präsidentschaft, sondern auch eine Mehrheit in beiden Kongresshäusern dafür. „Das ist definitiv ein Worst-Case-Szenario. Aber in den letzten Jahren ist in der US-Politik mehrmals das Undenkbare passiert. Worst-Case-Szenarios sind eingetreten, zum Beispiel der Sturm auf das Kapitol vor drei Jahren“, so Jellison.
Trump versuchte während seiner Amtszeit bereits, mit einer Anordnung rund 70.000 Frauen den Zugang zu den "kostenlosen" Verhütungsmitteln zu versperren. Eine Richterin in Pennsylvania stoppte die Maßnahme.
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US-Frauenrechtlerinnen sind laut Jellison zudem besorgt, dass ein Präsident Trump 2.0 etwa auch Richtlinien gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz angreifen könnte: „Wie er über Frauen spricht, wie er sich ihnen gegenüber verhält und dass er von einem Zivilgericht des sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen wurde – man hat große Angst, dass diese Worte und Handlungen noch stärker in seine Politik einfließen könnten, sollte er wieder Präsident werden.“
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Wo Biden sich beim Thema Abtreibungen schwer tut
So sehr Amtsinhaber Biden bisher von Trumps Einstellungen und Handlungen bezüglich Frauenrechten profitieren konnte, auch er hat beim Thema Schwangerschaftsabbrüche seine Schwierigkeiten.
Einerseits scheinen der Nahostkonflikt und die Rolle der USA darin vielen Wählern immer wichtiger zu werden, wodurch die Abtreibungsfrage für den Urnengang an Bedeutung verlieren könnte: Als Biden kürzlich bei einem Auftritt in Virginia über Schwangerschaftsabbrüche sprechen wollte, wurde er etwa wegen seines Umgangs mit dem Krieg in Gaza mehrfach von Störern unterbrochen.
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Und dann ist da noch die Tatsache, dass Biden sich als bekennender Katholik bezüglich Abtreibungen ohnehin nicht zu weit aus dem Fenster lehnen kann. Das zeigt auch das Wahlkampfvideo mit Texanerin Dennard: „Die Demokraten nehmen für solche Kampagnen als Beispiele immer Frauen, die sich – meist aufgrund von medizinischen Problemen - in ausweglosen Situationen befinden. Sie nehmen keine Frau, die ungewollt schwanger geworden ist und kein Kind möchte“, so Jellison.
Die meisten Frauen, die abtreiben wollen, befinden sich jedoch nicht in einer Situation wie Dennard. Fast die Hälfte der rund sechs Millionen Schwangerschaften pro Jahr in den USA ist ungeplant.
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