KURIER-Redakteure und ihre Abenteuer in Amerika
Die Faszination ist ungebrochen: Von Jugend an fanden unsere Kollegen die USA interessant, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Während wir den Countdown zur Wahl starten, erzählen sie die verrückten Geschichten, die sie auf ihren Reisen erlebt haben.
Ich habe die USA hunderte Male bereist, lange bevor ich das Land zum ersten Mal betrat. Ich brauchte dazu weder Flugzeug, noch Auto, sondern nur die Bücher Karl Mays (der Amerika erst als alter Mann besuchte und, sprichwörtlich, nur bis Buffalo kam). Aber die Fantasie dieses genialen literarischen Hochstaplers ließ mich Amerika so deutlich sehen, als wäre ich damals Apatsche von Beruf gewesen, und nicht Gymnasiast.
Wenn ich mich mit den Kollegen von der Selbsthilfegruppe „Anonyme Karl-May-Süchtige“ treffe, höre ich meistens, dass die anderen die berüchtigten, seitenlangen Landschaftsbeschreibungen immer überblättert haben. Ich traute mich das nicht, denn ich dachte immer, dann ist mir der Autor böse. Und mit der Zeit lernte ich es, genau diese Stellen in den Büchern zu lieben: Fast ekstatische Schilderungen von den Bergriesen der Rocky Mountains, von endlos rollender Prärie, von glühender Wüste, von Wäldern, Flüssen, Seen, alles beschrieben mit der fiebrigen Begeisterung dessen, der all diese Bilder nur in seinem Inneren sehen kann.
Als ich älter wurde, wurde Karl May in meinem Herzen von den Doors verdrängt, und bald wurde mir klar: Amerika ist das Land, wo Bob Dylan wächst, Elvis, Springsteen, die Beach Boys, die Byrds, Ray Charles, James Brown, Johnny Cash, Sinatra, Miles Davis. Es ist das Land, das den Rock ’n’ Roll erfunden hat, und allein schon dafür werde ich ihm dankbar sein, solange ich atme.
Als ich Amerika, das echte Amerika, dann doch bereiste (es war schwierig, hineinzukommen – dass ich einen italienischen Namen habe, Deutsch spreche, aber weder einen italienischen, noch einen deutschen Pass habe, fanden sie höchst verdächtig), stellte ich fest, dass es verblüffender Weise genau so aussah, wie das Amerika, das beim Lesen von Karl May in meinem Kopf entstanden war.
Meine damalige Frau und ich fuhren an den Fuß der Gros-Ventre-Berge, wo bekanntlich Winnetou den letzten Schlaf schläft. Wir fanden sein Grab nicht, stellten aber trotzdem ein Zelt auf, grillten im strömenden Regen am Lagerfeuer Hamburger, borgten uns von einem Herrn im Wohnmobil Ketchup aus und sagten „Grüß Gott“ zu einem Wapitihirschen, der plötzlich vor unserem Zelt stand.
Es war großartig.
Von Harlem bis nach Venice Beach in LA, von Ghosttowns in Arizona bis zu den damals schon abgefuckten Casinos von Atlantic City: Als ich mit 19 in die USA aufbrach, war das mehr als ein Land. Es war eine Welt vollgestellt mit all den Mythen, die wir in Form von Rock'n'Roll sämtlicher Härtegrade, Sergio Leones Italo-Western, Literatur wie Jack Kerouacs "On the Road" und Vietnam-Dramen wie "The Deer Hunter" gierig konsumiert hatten. Es war schon ein Erlebnis, dass dieser Mythen-Friedhof überhaupt real existierte, dass man wirklich auf einem Flughafen landen konnte der "JFK" hieß.
Wir haben über Wochen mit völlig kindlicher Begeisterung das alles in uns reingeschaufelt, haben Motel-Schilder fotografiert, uns T-Shirts im Hard-Rock-Cafe gekauft und waren völlig überwältigt davon, dass wir mit unseren Mietautos tatsächlich beim Drive In vorfahren konnten. Vieles von dieser Faszination ist natürlich verloren gegangen, aber die USA sind für mich bis heute ein Land, das mir tagtäglich neue Geschichten erzählt. Jetzt ist es für mich Amerika eben der Latino, mit dem ich in Deli in New York über seine Familie in Guatemala plaudere, oder der Tischler in Pennslyvania, der alte Scheunen restauriert.
Es war der Sommer 1995, als sich eine wichtige Frage stellte: Einmal noch mit den Eltern verreisen? Ich war 13 und fühlte mich dafür eigentlich viel zu erwachsen. Zumal „Urlaub“ mit den Eltern hieß: Früh aufstehen, viel herumfahren, noch mehr besichtigen. Und während sich meine Schulkollegen am Strand in Griechenland sonnten, stapfte ich durch das Schottische Hochmoor. Ich entschied mich dennoch dafür, mitzufahren, denn diesmal hieß das Ziel: Amerika.
Die große Überraschung war, dass marathonartige Sightseeing-Touren erstmals Spaß machten. Drei Wochen lang erkundeten wir ganz Manhattan und halb Kalifornien. Und ich war verliebt: in die Wolkenkratzer New Yorks, in die kleinen Diner am Sunset Boulevard, ja selbst in die schmucklosen Motels auf dem Weg nach Irgendwo.
Ich habe Amerika danach lange vermisst und so bald wie möglich wieder besucht. Für die überschwängliche Begeisterung, für die man leider nur als Jugendlicher Talent hat, reichte es später nicht mehr. Bald sah ich die Schattenseiten des Landes, das ich einst so verehrt habe. Ich sah Armut, Obdachlosigkeit, Kriminalität. Und ich begriff den Unterschied zu unserem vergleichsweise komfortablen Leben in Europa.
Ebenso begegneten mir aber Höflichkeit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft, und Amerika hat es immer wieder geschafft, mich zu überraschen. Zum Beispiel eines Nachts in Las Vegas. Ich war zu Fuß auf dem Nachhauseweg von einer Bar zu meinem Motel und hatte mich verlaufen. In einem Park saß eine Gruppe eher finster aussehender Latinos. Schlechter, möchte man meinen, kann es kaum kommen.
Aber ich klaubte meine Spanischkenntnisse zusammen, erzählte von meiner Reise durch Mexiko und bat sie, mir den Weg zum Motel zu erklären. Sie erklärten ihn mir nicht nur – sie brachten mich persönlich dorthin. Als die Rezeptionistin uns sah, wollte sie übrigens die Polizei rufen – sie dachte, die Männer hätten mir etwas angetan. Stattdessen hatten sie mich sicher nach Hause gebracht.
Oder damals, im Jahr 2012, in New York City. Hurrikan Sandy hatte die Ostküste schlimm erwischt und ich sah die Stadt, die angeblich niemals schläft, genau das tun: nämlich schlafen. Halb Manhattan war ohne Strom. Die kurzen Tage verbrachten wir damit, offene Geschäfte zu suchen und Wasserflaschen dreißig Blocks weit bis zu unserem Hotelzimmer zu schleppen. Die stillsten Nächte, die erlebte ich im stockdunklen New York.
Amerika hat mich immer wieder überrascht. Ich hoffe aber, dass es dies am Dienstag nicht schafft – und dass nicht Trump dieses Land regieren wird.
Das erste Mal in den USA für ein Interview mit Amar Bose, CEO des gleichnamigen Weltkonzerns. Erwartungen hatte ich wenige, das Land kennt man ja hinlänglich aus Filmen, Fernsehen, Büchern und Erzählungen, was sollte da noch überraschen. Es kam dann doch ganz anders. Flug nach Boston, untergebracht in einem Hotel, dreißig, vierzig Kilometer vom Flughafen entfernt zwischen zwei Highway-Zubringern. Dementsprechend laut, vor allem dementsprechend anders. Die Hotelbetreiber fanden es irgendwann, wahrscheinlich zu später Stunde, eine ganz tolle Idee, das Haus in eine Art Ritterburg umbauen zu lassen, mit Wehrtürmchen über dem Eingang und allerlei anderem mittelalterlichen Schnickschnack. Ritter waren keine zu sehen, dafür eine Art Echtzeit-Comic. An der Rezeption lehnte beim Einchecken Batman neben Flash Gordon, Superman fuhr mit mir im Lift, und durch den nicht enden wollenden Flur zum Zimmer streunte Catwoman, zumindest dem Schweif nach zu schließen. Wenig später hüpfte noch eine Art Alien durch die kleine Bar im Foyer, aber vielleicht schaute der Mann einfach wirklich so aus. Eine Superhelden-Convention sei gerade dieser Tage hier, wurde mir erklärt, also eine Art Kongress, wo sich Menschen (und es waren viele), die sich gerne als Comicfigur verkleiden mit Gleichgesinnten für ein langes Wochenende zusammentun, jeden Morgen die US-Flagge hissen und gemeinsam die Hymne intonieren und allerlei andere lustige Dinge treiben. „Das sind also die USA?“, wollte ich von Spiderman am nächsten Tag beim Frühstücksbüffet wissen. „Ja“, meinte er knapp. „Aber wir nennen es lieber die freie Welt.“ Und damit sind die Staaten eigentlich erklärt.
Ich bin auf dem Land aufgewachsen, noch dazu neben einem Friedhof – was Ruhe bedeutet, weiß ich also genau. Vielleicht war das laute, pulsierende New York ja deshalb schon immer ein großer Sehnsuchtsort für mich. Dann war da noch „Sex and the City“ – eine Kolumnistin, die auf der Suche nach der großen Liebe mit ihren besten Freundinnen durch Manhattan stöckelt. Durch das Village, den Central Park, über die Fifth Avenue. Da konnte der Friedhof nicht mithalten.
Ich war 22, als ich das erste Mal in New York landete. Während der Taxifahrt zum Hotel setzte ich meine Kopfhörer auf und hörte „Empire State of Mind“, ganz laut und in Endlosschleife. So aufgeregt war ich lange nicht mehr gewesen. Zwei Eindrücke sind mir im Gedächtnis geblieben: Wie unfassbar freundlich die Leute sind (ob oberflächlich oder nicht, sei dahingestellt) und wie unfassbar grauslich es riecht, wenn sich die schwüle Sommerhitze mit dem beißenden Gestank der Müllsäcke, die ohne Tonnen vor den Häusern liegen, vermengt.
Die folgenden Tage hatte ich nur ein Ziel: Ich wollte Carrie Bradshaws Haus sehen. Gar nicht so einfach, wenn man zwei Männer – Vater und damaliger Freund – im Schlepptau hat. Ich versprach, anschließend mit ihnen einen Flugzeugträger (ok, nicht irgendeinen – DEN Flugzeugträger schlechthin…) zu besichtigen, und gemeinsam irrten wir eine Stunde durch das (sehr sehr hübsche) Greenwich Village. Ich schwöre, dort sah jedes Haus gleich aus – nur vor einem hing eine schwere Eisenkette und ein „Fotografieren verboten“-Schild. Das war es. Natürlich machte ich sofort ein Foto.
Seitdem sehe ich meine Lieblingsserie mit anderen Augen. Und ich weiß jetzt, wie so ein Flugzeugträger aussieht.
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