US-Wahl: Größte Schwäche zur Stärke machen
Es ist die simpelste und zugleich die schwerwiegendste Frage, die sich jeder Wähler stellt – und der sich jeder US-Präsident stellen muss, der sich um eine zweite Amtsperiode bewirbt: "Geht es mir persönlich besser als vor vier Jahren?" Und es ist wohl die größte Schwäche Barack Obamas, dass es immer noch zu viele Amerikaner gibt, die diese Frage mit Nein beantworten müssen.
Die Wirtschaftskrise, ausgebrochen 2008 wenige Monate vor Obamas Amtsantritt, ist nicht überwunden, Arbeitslosenzahlen sinken nur langsam, die Löhne stagnieren. Trotzdem hat sich der Präsident entschieden, dieses Thema in den Mittelpunkt zu stellen – in seiner großen Rede Donnerstagnacht vor dem Parteitag der Demokraten, aber auch in den kommenden, entscheidenden Wochen des Wahlkampfs.
Es ist das Thema, bei dem sich sein Herausforderer Mitt Romney überlegen fühlt, bei dem ihm auch die Mehrheit der Amerikaner vorerst mehr Kompetenz einräumt als dem Präsidenten. Der Republikaner will eine Kehrtwende, ein Ende der von ihm, vor allem aber von den Radikalen in seiner Partei, als Sozialismus verteufelten Wirtschaftspolitik der Demokraten. Keine staatlichen Gelder mehr zur Belebung der Wirtschaft, lieber niedrigere Steuern, vor allem für Unternehmer.
Obama aber will und muss zeigen, dass er mit seinem Kurs nicht falsch gelegen, sondern einfach erst auf halbem Weg zum Erfolg ist.
Clinton
Genau dafür hatten die Demokraten Mittwochabend Bill Clinton auf die Bühne geholt. In einer flammenden Rede verteidigte der 66-Jährige, dessen Amtszeit als US-Präsident (1992–2000) als goldenes ökonomisches Zeitalter gilt, die Wirtschaftspolitik des amtierenden Präsidenten gegen Angriffe aus fremden und eigenen Reihen: "Kein Präsident, nicht ich, nicht meine Vorgänger, hätten diesen Schaden ganz reparieren können", sagte Bill Clinton. Doch Obama habe die Wirtschaft entspannt und das Sozialsystem der USA auf die Beine gestellt. "Er hat das Fundament für eine neue, moderne und erfolgreiche Ökonomie gelegt. Wenn Sie den Vertrag des Präsidenten verlängern, dann werden Sie das zu spüren bekommen."
Als Erfolge der Obama-Administration nannte er etwa die Rettung der US-Autoindustrie und die Gesundheitsreform. Er stellte das Gesellschaftsmodell der Republikaner "jeder für sich, der Gewinner kriegt alles", gegen jenes der Demokraten "wir sitzen alle im selben Boot".
Bill Clinton steht für die goldenen Neunzigerjahre, die wirtschaftliche Mitte. Sein Glanz soll auf Obama abfärben, den die Republikaner gerne weit in die linke Ecke stellen. Mit Witz und Angriffen auf Kritiker ebnete Clinton den Weg für Obamas gestrige Rede. "Ich will einen Mann nominieren, der nach außen hin cool ist, aber im Inneren für Amerika brennt", sagte Clinton über den Präsidenten. Eiskalte Zeiten zwischen den beiden nach dem Vorwahlsieg Obamas über Clintons Frau Hillary schienen vergessen. Am Ende kam der Präsident scheinbar spontan auf die Bühne und umarmte jenen Mann, der vor vier Jahren noch so gegen ihn gewettert hatte. "Verdammt, er hat sogar Hillary ernannt", hatte Bill Clinton zuvor mit einem Augenzwinkern gesagt.
Interview: "Social-Media-Kampagnen sind heute Standard"
Früher gab es Plakate im Vorgarten, heute sind es Facebook-Seiten und Twitter-Profile", sagte Alec Ross, der US-Außenministerin Hillary Clinton seit 2009 in Technologiefragen berät, am Donnerstag in Wien. Der 40-Jährige ist davon überzeugt, dass die Präsidentenwahl im Internet entschieden wird: "Social-Media-Kampagnen muss heute jeder machen, vom Bürgermeister aufwärts. Sie sind zum Standard geworden." Facebook diene der Organisation der Wähler, Twitter würde zum regen Info-Austausch genutzt.
Ross gestaltete 2008 Barack Obamas Internet-Kampagne maßgeblich mit und zählt heute weltweit zu den 100 wichtigsten Internet-Politikern. In Wien sprach er vor österreichischen Diplomaten, wie neue Technologien in der Politik einsetzbar sind. Ross zufolge findet gerade eine Machtverschiebung von Hierarchien hin zu Netzwerken statt, von Regierungen zum Bürger. Getrieben würde die Entwicklung durch das Internet mit mehr als 1,3 Milliarden Nutzern weltweit. "Das 21. Jahrhundert ist eine schreckliche Zeit für Kontroll-Freaks."
Der Arabische Frühling, wo Facebook und Twitter die Revolution beschleunigten, sei ebenso Beispiel dafür wie Enthüllungen von 250.000 US-Depeschen durch WikiLeaks. Dramatische Folgen für die Politik sieht Ross, der jeden neuen US-Botschafter in Sachen Social Media trainiert, aber nicht. "WikiLeaks hat vor allem aufgedeckt, dass unsere Diplomaten einen guten Job machen. Zeig mir ein Dokument, in dem ein Riesen-Skandal steckt."
Auch nach der Wahl erwartet Ross großen Einfluss der Internetnutzer auf politische Entscheidungen. "Direkte Demokratie wird die repräsentative Demokratie nicht. Aber es wird immer mehr Kampagnen von unten geben, die nicht von politischen Parteien ausgehen."
Ross, der auf Twitter 377.000 Follower hat, weist aber auch auf Grenzen der neuen Offenheit hin: "Ich tweete nicht darüber, wo ich gerade Frappuccino oder Wein trinke. Ich bin da etwas vorsichtiger, weil das schnell falsch interpretiert werden kann. Ich glaube nicht an totale Transparenz, mit einer Webcam im Büro könnte ich meine Arbeit nicht machen."
Neue Technologien werden die US-Außenpolitik aber künftig mitbestimmen. Das Außenministerium stellt 100 Mio. Dollar für die Entwicklung von Umgehungstechnologien bereit – also Lösungen, mit denen Aktivisten in autoritären Staaten die Internetzensur umgehen können.
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