US-General im KURIER-Interview: „Wollen Eskalation in Nahost verhindern“

Seit Oktober 2021 sind das Österreichische Bundesheer und die US-Nationalgarde in Vermont durch ein „State Partnership Program“ verbunden. Der KURIER sprach mit General Daniel Robert Hokanson, Kommandant der US-Nationalgarde, und Generalmajor Gregory Clark Knight, Kommandant der Nationalgarde von Vermont, über die Vorteile dieser Kooperation, die unter anderem die Einsätze militärischer Kräfte im Hochgebirge umfasst und in deren Vordergrund der Erfahrungsaustausch steht.
Sei es auf dem Gebiet der Flugrettung oder gemeinsamer Entminungsausbildung im Senegal – beide Generäle zeigten sich von der Kooperation mit dem Bundesheer begeistert. Insgesamt umfasst das Partnerschaftsprogramm 100 Nationen – eine davon ist die Ukraine.
KURIER: Herr General, wie hat dieses Programm in der Ukraine funktioniert?
General Hokanson: Die kalifornische Nationalgarde hat seit 1993 eine staatliche Partnerschaft mit Kiew. Nach der Invasion 2014 traf man sich mit den Ukrainern, um zu beurteilen, was richtig und was falsch gelaufen ist und wie sie sich verbessern können. Ab 2016 haben wir mit ihnen in Lemberg trainiert. Russland ging wohl davon aus, dass sie einfach durch die Ukraine durchrollen würden. Das haben die tapferen Anstrengungen der ukrainischen Soldaten und Zivilisten verhindert. Nach der Invasion haben wir unsere Ausbildung nach Deutschland verlegt und bilden weiterhin ukrainische Streitkräfte aus.
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Kritiker sagen, dass die USA der Ukraine zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben liefern. Das war also schon vor der Blockade des Kongresses der Fall. Was ist Ihre Meinung dazu?
Hokanson: Wir stehen zu 100 Prozent hinter der Ukraine und ihrer Fähigkeit, ihre Souveränität zu verteidigen. Und ich weiß, dass wir – wie auch die meisten europäischen Länder – alles in unserer Macht Stehende tun, um ihr die Fähigkeiten zu geben, die sie dazu braucht.
Österreichs Bundesheer kooperiert mit US-Nationalgarde
Aber es wäre zum Beispiel ein Leichtes gewesen, 100 HIMARS ( Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesystem) in die Ukraine zu schicken, anstatt 20, oder nicht?
Hokanson: Nun, man muss das mit den Fähigkeiten abwägen, die wir auch zur Abschreckung in anderen Teilen der Welt aufrechterhalten müssen. Was wir alle gesehen haben, ist die Einigung hinter der Ukraine und die Verurteilung der russischen Invasion. Und ich denke, wir alle versuchen zu helfen – so gut wir können.
Konnten Sie bereits etwas von den ukrainischen Soldaten lernen?
Hokanson: Wir lernen jeden Tag etwas von ihnen. Die Verbrauchsrate von Munition, die Auswirkungen russischer Raketen auf kritische Infrastruktur, der traurige Verlust so vieler Zivilisten durch wahllose Raketen der Russen. Wir alle schauen sehr genau hin und versuchen, den Ukrainern zu helfen, sich zu verbessern. Aber auch, damit wir daraus lernen und diese Fehler nicht irgendwann in der Zukunft wiederholen.
In Österreich werden alle Anstrengungen unternommen, um neues Personal für die Miliz zu finden, sozusagen das Äquivalent zur Nationalgarde. Haben Sie in Vermont dieselben Probleme, geeignetes Personal zu finden?
General Knight: Die Rekrutierung ist schwierig. Und in Vermont haben wir, wie viele andere Länder auch, Probleme bei der Anwerbung von qualifizierten Arbeitskräften. Hier kann das staatliche Partnerschaftsprogramm auch helfen. Im Grunde ist es eine Beziehung von Militär zu Militär. Aber die österreichische Botschafterin in den USA kam vor ein paar Monaten nach Vermont und unterzeichnete eine Vereinbarung, um uns bei der Lehrlingsausbildung zu helfen. Etwas, das Österreich unglaublich gut macht. Ein hypothetisches Beispiel: Stellen Sie sich vor, dass ich keine Hubschraubermechaniker finde, wir aber eine Lehrstelle einrichten und dass ein junger Mann oder eine junge Frau von der Berufsschule zu uns kommt, ein Praktikum bei uns macht und sich dann für den Dienst in der Garde interessiert, während er oder sie gleichzeitig eine zivile Arbeit ausübt. Das würde uns allen helfen.
General Daniel Robert Hokanson (60)
Ist Kommandant der US-Nationalgarde und damit Mitglied der US-Joint Chiefs of Staff – des Vereinigten Generalstabs der USA. Er diente unter anderem im Irak und in Afghanistan
Generalmajor Gregory C. Knight (61)
Ist Kommandant der Nationalgarde von Vermont und ist bereits seit 23 Jahren im State Partnership Program involviert. Neben Österreich sind auch Nordmazedonien und der Senegal Partner der Nationalgarde von Vermont
Mit Blick auf die raschen Mobilisierungen in der Ukraine, aber vor allem in Israel – und dann auf die Personalsorgen in vielen westeuropäischen Streitkräften: Ist im Westen das postheroische Zeitalter angebrochen?
Knight: Wir sollten etwas geschickter darin werden, zu vermitteln, was es bedeutet, zu dienen. Zu dienen ist nicht für jeden etwas. Es erfordert ein gewisses Maß an Arbeitsethik, Disziplin und persönliche Opfer. Wir müssen die Menschen besser darüber informieren, was wir tun, und die Möglichkeiten, die wir bieten können, näherbringen. Ich bin zum Beispiel als Rekrut ohne Collegeabschluss zum Militär gegangen. Das hat sich natürlich geändert, und zwar nur wegen der Möglichkeiten, die sich für mich durch die Nationalgarde ergaben. Und wenn die Menschen zu uns kommen, bleiben sie. Derzeit zu 90 Prozent.
Seit dem Ausbruch des Gaza-Kriegs gerieten zahlreiche US-Militärbasen im Irak und in Syrien unter Beschuss. Zumeist durch proiranische Milizen. Die USA sind offensichtlich um Deeskalation bemüht und wollen einen größeren Konflikt verhindern. Ab wann wäre das nicht mehr möglich?
Hokanson: Wir sind natürlich sehr um die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Soldaten besorgt. Deshalb haben wir Verteidigungssysteme eingerichtet, um sicherzustellen, dass sie so sicher wie möglich sind. Es passiert gerade extrem viel in der Region, viele Staaten sind darüber besorgt, wie sich die Spannungen auf ihre wirtschaftliche Situation auswirken werden. Wir wollen eine Eskalation im Nahen Osten verhindern.
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Wie man auch an der Vorwarnung an den Iran sah, bevor die Koalition die Houthi-Stellungen angegriffen hat. Aber angenommen, das US-Konsulat in Erbil wäre am Montagabend angegriffen worden? Was wäre dann die Reaktion darauf gewesen?
Hokanson: Ich weiß nicht, was dabei herausgekommen wäre. Und wenn unsere oberste Führung feststellt, dass ein Vergeltungsschlag notwendig ist, dann wird sie diesen zu gegebener Zeit durchführen. Und noch einmal: Wir versuchen, die Situation zu deeskalieren.
Man sagt, eine Supermacht müsse zwei kleinere Konflikte und einen großen Konflikt schultern können. Derzeit nehmen die Spannungen und Konflikte in vielen Regionen der Welt zu. Sind die USA noch in der Lage, überall ihre Interessen und die ihrer Partner durchzusetzen?
Hokanson: Ja. Das ist das Schöne daran, Verbündete und Partner rund um den Globus zu haben, denn wir alle wollen unsere Länder und unsere Bürger schützen. Wir haben hohe Fähigkeiten, weil unsere Nation unserem Militär die Ressourcen zur Verfügung gestellt hat. Aber wir können es nicht alleine tun.
Tut Europa genug, um als guter, wertvoller Verbündeter betrachtet zu werden?
Hokanson: Europa ist für uns immer ein enger Verbündeter gewesen. Und ich weiß, dass wir sehr eng mit NATO-Partnern und Nicht-NATO-Partnern und Verbündeten und Freunden zusammenarbeiten, weil wir alle die Bedeutung der Aufrechterhaltung der auf Regeln basierenden internationalen Ordnung sehen.
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