Führen die iranischen Raketenangriffe zu einer weiteren Eskalation?

Shahed-136-Kamkiazedrohnen zogen die Aufmerksamkeit der Flugabwehr auf sich, überlasteten die Systeme, wenig später schlugen mindestens sechs Fateh-110-Raketen im kurdischen Erbil ein, eine davon knapp neben dem US-Konsulat. Zur gleichen Zeit feuerten die iranischen Revolutionsgarden ballistische Mittelstreckenraketen vom Typ Kheibar Shekan ab – und trafen Einrichtungen der Terrorgruppe Hayat Tahir al-Scham (HTS) im syrischen Idlib.
Reichweite bis Israel
Es war das erste Mal, dass die Islamische Republik Iran Raketen mit einer solchen Reichweite – 1.450 Kilometer – abfeuerte. Raketen, die auch Israel erreichen könnten. Mit diesen Angriffen in der Nacht auf Dienstag hat der Iran zum ersten Mal seit Beginn des Gazakriegs offiziell Ziele bombardiert. Die Revolutionsgarden verlautbarten, der Angriff auf Erbil habe einer Mossad-Zelle gegolten, jener auf die HTS in Syrien, den mutmaßlichen Unterstützern des blutigen Anschlags von Kerman. Dort waren am 3. Jänner 84 Menschen bei der Trauerfeier für den ehemaligen Revolutionsgarden-Kommandanten Qassem Soleimani gestorben.
➤ Warum die Houthis so schwierige Gegner sind
Vergeltungsschläge
Die HTS soll die Attentäter der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ausgebildet haben. Dass Teheran die Stadt Erbil als Ziel ausgewählt hat, ist auch als Machtdemonstration gegenüber den USA zu verstehen – der Iran ist imstande, deren Flugabwehr zu überlisten. Bisher führten mit dem Iran verbündete, irakische Milizen mehr als einhundert Angriffe auf US-Basen durch, der Iran hatte stets betont, sie würden unabhängig agieren.
Doch seit die USA die Stellungen der mit Teheran verbündeten Houthis im Jemen beschießen, sah sich der Iran offensichtlich dazu genötigt, selbst ein Zeichen der Stärke zu setzen. Seit Jahren bilden Kämpfer der iranischen Revolutionsgarden Houthis im Jemen aus.
Führt diese Eskalation nun zum befürchteten Flächenbrand im Nahen Osten?

Eher nicht. Der Iran versteht seine Angriffe als Vergeltung für die gezielte Tötung seines Generals Sayyed Razi Mousavi durch Israel, als Vergeltung für den Anschlag von Kerman sowie als Signal an die USA. Die Tatsache, dass Letztere den Iran vor dem Bombardement der Houthi-Stellungen vorwarnten, zeigt zumindest, dass es nach wie vor Gesprächskanäle gibt.
Dennoch sind die aktuellen Entwicklungen nicht zu unterschätzen: Hamas, Hisbollah und Houthis kämpfen bereits offen gegen Israel, alle drei sind de facto vom Iran abhängig. Nach den iranischen Bombardements hängt es davon ab, wie Israel und die USA reagieren werden.
Präzedenzfall 2020
Als der Iran vor vier Jahren mit dem Angriff auf die US-Basis Ain al-Assad im Irak zum ersten Mal einen US-Stützpunkt bombardiert hatte, verhielt sich Washington ruhig. Mit dem Ergebnis, dass die Islamische Republik ihr Selbstvertrauen weiter steigerte, sich in den nächsten Jahren als wichtiger Unterstützer Russlands entpuppte, unter anderem, wenn es um Drohnenschläge ging. Doch auch Lieferungen ballistischer Raketen an Moskau stehen im Raum.
Andererseits sind die USA nicht an einer weiteren Eskalation interessiert – ein Militärschlag gegen den Iran würde ungleich mehr Kräfte bündeln als die Angriffe auf die Houthis, die auch am Dienstag weiterhin Handelsschiffe im Roten Meer bombardierten – offensichtlich unbeeindruckt von den den US-amerikanischen und britischen Luftangriffen.
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