Guttenberg: "Unzählige Begabungen, aber nur diese Kandidaten"

Karl-Theodor zu Guttenberg analysiert die USA vor den Wahlen
KURIER-Interviews zur US-Wahl. Heute: Der frühere CSU-Jungstar Karl-Theodor zu Guttenberg, der seit fünf Jahren in den USA lebt.

Der frühere deutsche Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) lebt seit seiner Plagiatsaffäre 2011 in den USA und arbeitet u. a. im Center for Strategic and International Studies, einem Washingtoner Thinktank. Nach der Wahl, so sagt er, werden sich die USA auf die Entgiftung des gesellschaftlichen und politischen Klimas konzentrieren müssen.

KURIER: Herr Guttenberg, trauen Sie sich eine Prognose zu: Clinton oder Trump?

Theodor Guttenberg: Nein. Wir wurden in den letzten Jahren bei Wahlen und Abstimmungen immer wieder von größeren Überraschungen heimgesucht. Ich erinnere nur an das Brexit-Votum in Großbritannien. Klassische Meinungsumfrage-Institute liegen oft dramatisch falsch.

Aber dass alle Vorhersagen falsch liegen ...?

Es stimmt schon, trotz der erheblichen Schwierigkeiten, denen sich Hillary Clinton ausgesetzt sieht, denkt man: Es müsste mit dem Teufel zugehen, sollte sie es nicht schaffen. Aber ich bin sehr vorsichtig geworden angesichts der Gespaltenheit der Nation, der Unberechenbarkeit gewisser Wählergruppen.

Sind die USA tatsächlich so polarisiert wie nie, oder ist das eine mediale Aufschaukelung?

Nein, das ist keine Überzeichnung. Dieses Land ist tatsächlich in einer historischen Zerrissenheit. Die lässt sich nicht nur an den klassischen Parteilinien festmachen, sondern auch innerhalb der Partien. Demokraten und Republikaner kämpfen mit enormen Fliehkräften in den eigenen Reihen – bei den Republikanern wird das öffentlich mehr wahrgenommen, aber man darf nicht vergessen, was die Kandidatur von Bernie Sanders bei den Demokraten gemacht hat.

Wohin gehen die USA, wenn Clinton das Rennen macht, und wohin, wenn es Trump macht?

Ich sage einmal, wohin Amerika gehen könnte, egal wer das Rennen macht: Wir müssen für die nahe Zukunft fürchten, dass sich die neue Führung in den USA auf die Innenpolitik und die sehr, sehr aufgeheizte Lage im eigenen Land konzentrieren wird. Das wird Auswirkungen auf die außenpolitische Wirkkraft und Präsenz der USA haben.

"It’s the economy, stupid", die Konzentration auf innere Probleme, gab’s früher auch schon.

Es ist nicht nur die Economy. Das Land wird sich nach den Wahlen in unruhigem Fahrwasser bewegen: Trump könnte, wenn er verliert, die Wahlen nicht anerkennen; sollte er gewinnen, wird auch das nicht zu einer Bereinigung der aufgestauten Wut, manchmal des Hasses führen. Wir haben erstmals wieder Rassenunruhen erlebt. Wir haben eine einzigartige Perspektivenlosigkeit in der Mittelschicht und in der unteren Mittelschicht. Bisher war es typisch für den amerikanischen Charakter, dass man, selbst wenn es einem nicht gut geht, immer noch ein großes Maß an Hoffnung für die nächste Generation an den Tag gelegt hat. Diese Hoffnung ist erheblich untergraben.

Da ist also viel aufzuräumen?

Ja, all das, was sich in diesem bizarren Wahlkampf an toxischen Stimmungslagen aufgebaut hat, lässt sich nicht schnell vom Tisch wischen. Da sind tiefe Gräben zuzuschütten, Brücken zu bauen, möglicherweise kommt es wieder zu Blockaden zwischen Präsident und Kongress, das wird nicht so einfach.

Wenn wir doch noch einmal einzeln in die Zukunft blicken: Wenn Trump es wird?

Wenn Trump es werden sollte, wovor uns nicht nur der liebe Gott bewahren möge, würden wir eine komplett neue "Qualität" des Regierungsstils erleben müssen. Es ist momentan auch nicht erkennbar, was viele erwarten, dass er eine große Zahl von erfahrenen Menschen um sich scharen würde, die ihn dann beraten und kontrollieren würden – das wäre nämlich etwas, das seinem Charakter nicht zwingend entspricht. Er ist mit seinen bisherigen strategischen Äußerungen nicht durch Logik aufgefallen, sondern durch einen hoch erratischen Kurs, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Unter ihm wäre Amerika auf dem Weg in eine Isolation.

Und wenn es Clinton wird?

Mit ihr hätte man eine erfahrene Persönlichkeit, aber eine mit historischen Unbeliebtheitswerten in den USA. Ihre außenpolitische Erfahrung würde sie aus vorhin genannten Gründen vorerst nicht ins Spiel bringen könnte. Was ich schon von ihr erwarte, ist ein Abrücken von ihren kritischen Äußerungen zu Freihandelsabkommen, die wohl wahltaktisch motiviert waren.

Ein Gott-bewahre-Kandidat und eine unbeliebte Kandidatin – wieso bringt eine Nation wie die USA nicht zwei herzeigbare, smarte, visionäre Präsidentschaftskandidaten zusammen?

Das ist eine sehr, sehr gute Frage, die sich in vielen Gesprächen widerspiegelt, die ich in den USA führe: Viele Menschen sind beschämt, dass sie in einem Land mit 350 Millionen, mit unzähligen Begabungen, in einer Wahlentscheidung mit diesen beiden Kandidaten enden. Das hat viel mit einem verhärmten politischen System und einer Zwei-Parteien-Struktur zu tun, die nie eine gesunde Erneuerung erfahren hat. Und der Anerkennungsgrad in der Politik hält die charismatischen Begabungen davon ab, in die Politik zu gehen – das sehen wir ja überall.

Weder bei Republikanern noch bei Demokraten gibt es jemanden, der charismatischer wäre als Trump oder Clinton?

Schauen Sie sich nur die Auswahl derer an, die bei den Republikanern angetreten sind. Das war jetzt auch keine Inflation von Ausnahmepersönlichkeiten.

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