UNO bestätigt Sarin-Einsatz

US-Kriegsschiffe im Mittelmeer
C-Waffen wurden in „großem Maß“ eingesetzt. Assads Schuld ist aber nicht erwiesen.

Nach Wochen des Wartens war es am Montag so weit: Am Abend wurde der 38-seitige Bericht der UN-Chemiewaffenexperten vorgelegt. Darin ist von „klaren und überzeugenden“ Beweisen dafür die Rede, dass bei einem Angriff am 21. August des Nervengiftes Sarin eingesetzt wurde. Als Trägersystem seien Boden-Boden-Raketen identifiziert worden (die nur das Regime besitzt). Weiter heißt es, Chemiewaffen seien generell in dem seit 30 Monaten andauernden Konflikt „in relativ großem Maße“ eingesetzt worden. Ähnliches hatte schon zuvor UN-Generalsekretär Ban Ki-moon angedeutet. Er bezeichnete derartige Angriffe am Montag in New York als „Kriegsverbrechen“.

Ein Mandat, herauszufinden, wer das Giftgas eingesetzt hat, hatten die Inspektoren nicht. Die Verantwortlichen für den Giftgaseinsatz müssen nun vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden, forderten mehrere Staaten, darunter Deutschland. Für die Westmächte im UN-Sicherheitsrat (Frankreich, Großbritannien, USA) ist klar, dass Syriens Regierung unter Bashar al-Assad hinter dem Angriff vom 21. August steht. „Keinen Zweifel“ daran sah etwa der französische Außenminister Laurent Fabius am Montag. Er besprach zuvor mit seinen Amtskollegen William Hague und John Kerry in Paris die weitere Vorgehensweise.

Formulierung

Bei dem Treffen ging es vor allem darum, eine Resolution für den UN-Sicherheitsrat zu formulieren. Heute, Dienstag, soll Fabius nach Russland reisen, um sich mit Moskau über die genaue Wortwahl abzustimmen. Nach Einschätzung von Frankreichs Präsidenten François Hollande könnte es noch diese Woche zu einer Abstimmung darüber im UN-Sicherheitsrat kommen.

Nach ihrem Treffen am Montag machten Fabius, Hague und Kerry klar, was sie von der UNO erwarten: Eine „starke und bindende“ Resolution mit klarem Zeitplan für die Sicherung und Zerstörung der Chemiewaffen Syriens. Fabius sagte zudem, Assad müsse „beigebracht werden, dass es keine andere Perspektive als den Verhandlungstisch gibt“. Eine Resolution müsse daher auch „ernste Konsequenzen“ im Fall einer Nichtbefolgung der Bedingungen beinhalten.

Genau das stößt Russland aber auf: Bisher hatte sich Moskau vehement gegen jegliche Gewaltandrohung gegen Syrien verwahrt – und eine Abkehr davon scheint nicht in Sicht. Dahingehende Forderungen kritisierte Lawrow auch am Montag in Moskau explizit. „Wenn es für jemanden wichtig ist, ständig Drohungen auszusprechen“, so sei das ein anderer Weg, die Chancen auf einen Friedensprozess „vollständig zu zerstören“, so Lawrow. Zudem merkte er an, dass es wohl kaum binnen einer Woche zu einer UN-Resolution kommen werde. Das Vorhaben alleine, so Lawrow, zeuge davon, dass die westlichen Partner den Sinn der Sache nicht verstanden hätten.

Zugleich kamen aus Syrien Signale, sich einem UNO-Beschluss beugen zu wollen. Informationsminister Omran Zoabi deutete das in einem Interview an. Derweil arbeite man bereits an einer Auflistung aller C-Waffenbestände. Waffeninspekteure sollen freien Zugang zu allen Anlagen erhalten, so Zoabi.

Der zwischen Russland und den USA vereinbarte Plan sieht vor, dass Syrien binnen einer Woche die Art und Menge aller C-Waffenbestände sowie deren Lagerungsorte auflistet. Untermauert werden soll das durch eine UN-Resolution. Danach sollen Inspekteure der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW) die Kampfstoffe inspizieren und zerstören. Abgeschlossen werden soll all das in der ersten Jahreshälfte 2014.

Unter dem Eindruck des amerikanischen Aufmarsches rund um Syrien und der Androhung von Luftangriffen scheint eine Einigung näher als bisher. Vor allem, da auch aus dem Iran – vom mächtigsten Verbündeten Syriens in der Region also – Signale kommen, dass man sich durchaus auch mit einem Wechsel an der syrischen Staatsspitze arrangieren würde können.

EU bekräftigt Unterstützung zur Zerstörung von C-Waffen

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hat ihre "volle Unterstützung" zur Mithilfe der Europäischen Union an der Zerstörung von Syriens Chemiewaffenarsenal bekräftigt. In einer Erklärung machte Ashton am Dienstag dazu keine näheren Angaben. Sie betonte aber, dass der "abscheuliche Angriff eine Verletzung des Völkerrechts, ein Kriegsverbrechen und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt". Es könne für die Verantwortlichen des Chemiewaffenangriffs keine Straffreiheit geben, sie müssten zur Verantwortung gezogen werden. Ashton äußerte sich nicht zur Frage, wer hinter dem Angriff vom 21. August stehe, für den die USA und Frankreich das Regime von Präsident Bashar-al-Assad verantwortlich machen.

Spindelegger für Hilfe nur bei UNO-Mandat

VP-Außenminister Michael Spindelegger ist für eine österreichische Assistenz in Syrien nur im Falle eines internationalen Auftrages. "Wir sind immer bereit, wenn es ein UNO-Mandat gibt, Hilfe zu leisten", sagte er am Dienstag nach dem Ministerrat. Zugleich sieht Spindelegger "positive Zeichen" im derzeitigen Krisengebiet: "letztlich hat sich hier auch eine bedeutende Wendung ergeben."

Vor allem das offensichtliche Eingehen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad auf das Ultimatum wertete Spindelegger positiv. Auch der Bericht der UNO-Inspektoren zum mutmaßlichen Einsatz der Chemiewaffen habe im Fall Syrien für mehr Klarheit gesorgt. Den Brief von Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) an die USA goutierte der Außenminister nicht: "Aus unserer Sicht ist das mit der Neutralität nicht vereinbar", die Vereinigten Staaten seien der "völlig falsche Adressat".

Ankara hat am Montag offiziell bestätigt, einen syrischen Hubschrauber abgeschossen zu haben. Das Militärgerät wäre in den türkischen Luftraum eingedrungen, sagte Vize-Regierungschef Bülent Arinc. Zuvor hatte es geheißen, der Helikopter sei von syrischen Rebellen angegriffen worden, die beiden Piloten, die sich zunächst per Fallschirm retten hätten können, seien danach Aufständischen getötet worden. Der Zwischenfall könnte die Spannungen zwischen Damaskus und Ankara weiter anheizen. Die Türkei drängt auf eine härtere Gangart gegenüber Machthaber Bashar al-Assad.

Indes werden im jüngsten Bericht des UN-Menschenrechtsrates schwere Vorwürfe erhoben: Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger, Ambulanzfahrer und Patienten – in Syrien sei keiner von ihnen vor Angriffen sicher. Weder vor Bomben der Regierungssoldaten noch vor Angriffen der Rebellen. Die Attacken würden gezielt und systematisch erfolgen und hätten nach über zwei Jahren Bürgerkrieg nahezu zu einem Zusammenbruch des gesamten Gesundheitssystems geführt.

37 Prozent aller Krankenhäuser sind durch Luftangriffe vollkommen zerstört, weitere 20 Prozent zum Teil beschädigt. Nach gezielten Verfolgungen und Verhaftungen durch das Regime sind bisher 15.000 Mediziner außer Landes geflohen, 470 Ärzte sitzen derzeit in Haft.

Katastrophal ist auch die Versorgung mit Medikamenten. Für viele der Verwundeten bedeutet dies Operationen ohne Narkose. In einigen Regionen gibt es überhaupt kein Insulin mehr – vor Kriegsbeginn gab es in Syrien 430.000 registrierte Zuckerkranke, davon 40.000 Kinder.

Nur noch 36 Ärzte

Besonders schlimm ist die Lage im umkämpften Aleppo: Von den mehreren Tausend Ärzten, die in und um Aleppo tätig waren, sind nur noch 36 vor Ort. Wer von ihnen Regierungssoldaten oder Rebellen in die Hände fällt, muss immer damit rechnen, verschleppt zu werden. Dass dabei vonseiten der Aufständischen immer häufiger Verbrechen registriert werden, hat nach Angaben der UN-Menschenrechtsexperten vor allem mit dem Zustrom ausländischer Kämpfer zu tun.

Mindestens 10.000 ausländische Dschihadisten stünden bereits in Syrien an den Fronten, bestätigt auch die britische Organisation „IHS Jane’s“ in ihrem jüngsten Bericht. Ihr Ziel sei nicht nur der Sturz Assads, sondern die Errichtung eines Gottesstaates. Weitere 30.000 bis 35.000 ausschließlich syrische Kämpfer zählt „IHS Jane’s“ ebenfalls zu militanten Extremisten. Diese hätten zwar mit dem Dschihad nichts im Sinn, kämpfen aber auch für die Errichtung eines Kalifats in Syrien.

Damit kommt die britischen Nachrichtendiensten nahestehende Organisation zu dem Schluss: Von den insgesamt geschätzten 100.000 Anti-Regime-Kämpfern in Syrien gehören fast die Hälfte radikal-islamischen Extremisten an.

Der Iran wäre bereit, auch einen anderen syrischen Führer als Präsident Bashar al-Assad zu akzeptieren. Allerdings gehe es im Syrien-Konflikt nicht um Assad, sagte der iranische Präsident Hassan Rohani am Montag bei einem Treffen mit Kommandanten der Revolutionsgarden in Teheran.

"Syrien muss in erster Linie zur Stabilität zurückfinden. Und dann werden auch wir bei einem demokratischen Prozess jeden (Präsidentschaftskandidaten), der die Mehrheit der Stimmen erhält, akzeptieren", sagte Rohani laut Nachrichtenagentur Fars.

Rohani warf dem Westen vor, über den Syrien-Konflikt die Verhältnisse im Nahen Osten ändern zu wollen. "Dabei sollen in erster Linie Israel gestärkt und die anti-israelische Front geschwächt werden." Aber wie in Afghanistan und im Irak würden die westlichen und US-amerikanischen Rechnungen auch in Syrien nicht aufgehen, prophezeite Rohani.

Atomgespräche am Montag

Ähnlich äußerte sich der Chef der Iranischen Atomenergiebehörde, Ali Akbar Salehi, der am heutigen Montag bei der Generalkonferenz der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA/IAEO) erwartet wird. "Das syrische Volk kann seine Zukunft nur selbst bestimmen. Sonst niemand. Die Syrer werden sicherlich nicht zulassen, dass schlechtgesinnte Feinde für sie Entscheidungen treffen", meinte er am Wochenende vor Journalisten der Nachrichtenagentur IRNA.

Salehi verwies auch auf den Rückzieher der Amerikaner bezüglich eines militärischen Anschlag gegen Syrien und meinte, dass Washington letztlich erkannt habe, dass es keine andere Lösung außer Diplomatie gebe. Der Iran sei das mächtigste und einflussreichste Land in der Region und hätte eine tragende Rolle dabei gespielt, der "kriegslüsternen Politik" der USA in Bezug auf Syrien entgegenzuwirken. Hätte Washington Damaskus so wie einst den Irak angegriffen, dann wären die Amerikaner mit unerwarteten Gegenreaktionen und Ergebnissen dieser Aktion konfrontiert worden, so Salehi.

Achse gegen Israel

Syrien ist der engste Verbündete des Iran im Kampf gegen den Erzfeind Israel. Teheran ist vehement gegen einen westlichen Militäreinsatz in Syrien und hat daher die russisch-amerikanische Übereinkunft zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen auch begrüßt. Teheran hofft, dass damit auch die Kriegsoption vom Tisch sei und das syrische Volk nun intern über die politische Zukunft des Landes entscheiden könne. Dennoch ist es ein offenes Geheimnis, dass die iranischen Führer, auch Rohani, einen Verbleib Assads an der Macht vorziehen würden.

Giftgas-Bericht

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon präsentiert den Expertenbericht zum möglichen Chemiewaffeneinsatz in Syrien am Montagnachmittag im Sicherheitsrat. Die UNO-Inspektoren hatten in den vergangenen Wochen in dem Bürgerkriegsland Proben genommen, um Vorwürfen des Einsatzes von Giftgas gegen die Bevölkerung nachzugehen. Sie hatten aber kein Mandat, um zu klären, wer für die Angriffe verantwortlich ist. Ein UNO-Diplomat, der anonym bleiben wollte, deutete indes an, dass die Details des Berichts Hinweise auf die Verantwortlichen geben würden. "Wer den Bericht liest, wird erahnen können, wer (den Angriff) ausgeführt hat", sagte er. Der Expertenbericht gilt als wichtig für die weiteren Beratungen des UNO-Gremiums über den Syrien-Konflikt. Bereits am Freitag hatte Ban vor Journalisten gesagt, dass die UNO-Inspektoren "überwältigende" Beweise für einen Giftgasangriff gefunden haben.

US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow hatten am Samstag in Genf vereinbart, dass Syriens Führung binnen einer Woche ihre Chemiewaffenbestände offenlegen soll. Bis Mitte 2014 sollen alle Giftgasbestände vernichtet werden.

Kommentare