Ukraine wirft Russland gezielte Angriffe auf Wohngebiete vor

Dozens injured after Russian shelling on Pavlohrad, southeastern Ukraine
USA: Große russische Verluste. Kiews Verteidigungsminister: Vorbereitung der Offensive in Endphase.

Die Ukraine hat Russland eine veränderte Taktik mit gezielten Raketenangriffen auf Wohngebiete vorgeworfen. "Es gibt keinen Zweifel daran, dass sie direkte Angriffe eben auf zivile Mehrfamilienhäuser oder Orte ausführen, an denen es viele Häuser der Zivilbevölkerung gibt", sagte der Berater des Präsidentenbüros Mychajlo Podoljak in der Nacht zum Dienstag im ukrainischen Fernsehen. Moskau wolle dadurch unter anderem eine verfrühte Gegenoffensive Kiews provozieren.

Dazu wolle der Kreml testen, ob die Ukraine in der Lage sei, den eigenen Luftraum zu schützen. In den vergangenen Tagen hatte es mehrere russische Raketenangriffe mit zivilen Opfern gegeben. Insbesondere in Uman forderte ein Raketeneinschlag in einem Wohnhaus am Freitag viele Todesopfer. Auch in der Stadt Pawlohrad im Gebiet Dnipropetrowsk haben russische Marschflugkörper schwere Schäden verursacht und mindestens zwei Menschen getötet. Kiew bestreitet, dass dabei militärische Ziele getroffen wurden.

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Russland hat nach Einschätzung von US-Geheimdiensten in den vergangenen Monaten schwere Verluste erlitten. Seit Dezember seien mehr als 20.000 Soldaten getötet und rund 80.000 verwundet worden, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Montag in Washington. Unklar blieb zunächst, ob sich die Angaben auf die Ukraine insgesamt oder nur auf die Kämpfe um die ostukrainische Stadt Bachmut beziehen.

Hierzu gab es widersprüchliche Angaben: Kirby hatte zunächst klargestellt, dass sich die Zahlen "allein auf die Kämpfe um Bachmut" beziehen. Sein Stellvertreter Sean Savett korrigierte dies zu einem späteren Zeitpunkt und sagte der "Washington Post", dass die Zahlen die russischen Verluste seit Dezember in der gesamten Ukraine widerspiegelten.

Unabhängig überprüfen lassen sich diese Zahlen nicht. Nach unbestätigten Angaben aus Kiew hat Russland seit Kriegsbeginn im Februar des Vorjahres gar Gesamtverluste von 200.000 Mann in der Ukraine erlitten, wie es am Montag im täglich aktualisierten Lagebericht hieß. Dennoch setzt das russische Militär seine Angriffe fort - und die ukrainischen Truppen bereiten ihre Offensive zur Rückeroberung der besetzten Gebiete vor.

Bei etwa der Hälfte der gefallenen Soldaten auf russischer Seite handle es sich um Söldner der Wagner-Truppe, sagte Kirby weiter. Die meisten von ihnen seien russische Strafgefangene gewesen, die ohne ausreichende Kampf- oder Gefechtsausbildung in den Krieg geschickt worden seien, sagte Kirby. Angaben zu den Opfern auf der ukrainischen Seite machte Kirby nicht.

US-Generalstabschef Mark Milley hatte im November von weit mehr als 100.000 getöteten oder verwundeten russischen Soldaten in den ersten acht Kriegsmonaten berichtet. Das Gleiche gelte wahrscheinlich für die ukrainische Seite, sagte er damals in New York.

Fast ein Fünftel unter Kontrolle

Russland kontrolliert nach seinem Einmarsch vor über 14 Monaten fast ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets, einschließlich der bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Bachmut ist seit Monaten Angriffen der russischen Armee und der Wagner-Truppe ausgesetzt. Inzwischen kontrollieren die Angreifer eigenen Angaben nach rund 85 Prozent des Stadtgebietes.

Bei russischen Raketenangriffen und Artillerieduellen kamen am Montag in der Ukraine mehrere Menschen ums Leben. Nach Angaben des Generalstabs in Kiew setzten die russischen Streitkräfte Marschflugkörper und Kampfflugzeuge ein. Bei Angriffen im Osten des Landes und in der Zentralukraine seien mehrere Zivilisten getötet oder verletzt worden. Außerdem seien zahlreiche Gebäude beschädigt oder zerstört worden.

Die Vorbereitungen der Ukraine für die erwartete Frühjahrsoffensive zur Rückeroberung russisch besetzter Gebiete sind nach Worten von Verteidigungsminister Olexij Resnikow "in der Endphase". "Ich glaube an sie", sagte er am Montag im Staatsfernsehen. "Es ist viel für ihren Erfolg getan worden."

"Ich glaube, dass wir ab heute auf die Zielgerade einbiegen und sagen können: Ja, alles ist bereit", betonte Resnikow. "Und dann werden der Generalstab, der Oberbefehlshaber und sein Team auf der Grundlage der Entscheidung und des Verständnisses der Lage auf dem Schlachtfeld entscheiden, wie, wo und wann", sagte der Minister. Er sei ebenso wie die internationalen Partner der Ukraine vom Erfolg der Offensive überzeugt. Schließlich verstünden die Partner Kiews, dass ein Erfolg "im Sicherheitsinteresse ihrer Länder und ihrer Völker liegt".

Nach der Rückeroberung der besetzten Gebiete durch seine Truppen setzt Resnikow auf eine Verurteilung der politischen und militärischen Führung Russlands. "Es muss ein Urteil eines internationalen Tribunals für die militärischen Verbrecher des Kreml und dieser Mafia-Bande geben", forderte er. Russlands Präsident Wladimir Putin "und sein Umfeld müssen sitzen". Eine Verurteilung würde allen Nachfolgern und Nachkommen in Russland das klare Signal geben: "Denkt nicht an Rache."

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