Ukraine-Wahl mit Revolutions-Kater
Sie soll aus Sicht der ukrainischen Regierung so etwas wie einen Schlussstrich bedeuten – die morgige Parlamentswahl. Den Schlussstrich unter eine Revolution, die zum Ziel hatte, mit allem abzurechnen, was die Gegenwart der Ukraine aber nach wie vor prägt, wie kaum zuvor: Korruption, Freunderlwirtschaft und nicht zuletzt und vor allem die schwierige Nachbarschaft zu Russland und alle Probleme, die diese Ukraine-intern mit sich bringt. Und nicht zuletzt soll sie vor allem eines tun: legitimieren.
Erst der Aufstand gegen Ex-Präsident Janukowitsch vergangenen Winter, Straßenschlachten in Kiew mit 100 Toten, der Kontrollverlust der damaligen Regierung über das Land, der Sturz des Präsidenten, die Annektion der Krim durch Russland, der Krieg im Osten. Die Ukraine hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Ein Wechselbad von Solidarität und Rivalität. Es ist zumindest in Kiew gewisse Ernüchterung eingekehrt. Denn bei näherem Hinsehen hat sich kaum etwas geändert.
Neue Akteure
Zwar sind neue politische Akteure auf die Bühne getreten. Das System aber ist dasselbe. Beamte kassieren weiter für staatliche Leistungen. Und sogar bei den gefeierten Helden der ukrainischen Gegenwart, den Soldaten, wird die Hand aufgehalten, wenn es um Zuwendungen geht, die aber nur ausbezahlt werden, wenn ein Teil an den zuständigen Bürokraten geht. Ebenso bei medizinische Leistungen. Und auch aus Spendenaktionen für Kriegsinvalide oder die Armee selbst hat sich zum Teil ein eigener Wirtschaftszweig entwickelt, der alle wahrhaftigen Bemühungen auf diesem Gebiet – und das sind viele – in Misskredit bringt.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Präsident Petro Poroschenko, dessen Wahlblock alle Umfragen haushoch anführt, nur wenige Tage vor der Wahl eine Brandrede gegen Korruption und für deren Bekämpfung hielt. Denn weniger die EU-Orientierung der Ukraine, als der Überdruss mit Korruption und Klientelismus waren die Triebfeder des Aufstandes gegen Janukowitsch gewesen.
Die Revolution, die Rechnung, die Poroschenko gerne abschließen möchte, die ist aus Sicht weiter Teile der Wählerschaft noch lange nicht ausgerechnet. Für viele ist die Revolution nach wie vor im Gange – aus der Sicht ihrer Befürworter wie ihrer Gegner.
Es ist genau dieses Klima, in dem neue politische Gruppen keimen – und nicht nur solche, die das politische Establishment suchen. Aber auch an der Oberfläche sind zahlreiche neue Akteure aktiv – wie die rechtsnationale Radikale Partei oder auch die links bis anarchistisch angehauchte Internetpartei. Aber vor allem aufseiten des Lagers der gestürzten Regierung ist alles anders. Die Partei der Regionen, die in Regionen wie Donezk oder Lugansk auf bis zu 90 Prozent kam, ist in eine Reihe von Wahllisten zerfallen.
In vielen ihrer Hochburgen im äußersten Osten der Ukraine und auf der Krim wird nicht gewählt werden. Sie werden im Parlament nicht vertreten sein. Ein hoher Vertreter des Außenministeriums in Kiew kommentiert das mit einem Wort: "leider". Aber so sieht sie eben aus, die neue ukrainische Realität.
Ukraine-Wahl – neue Parteien mit bekannten Gesichtern
Parlament 52 Parteien bewerben sich um 450 Sitze. Sechs Parteien schaffen laut Umfragen den Einzug.
Block Petro Poroschenko – Prognose: 28 %Spitzenkandidat ist Vitali Klitschko.
Radikale Partei – Prognose: 8 %Partei des Nationalisten Oleh Ljashko
Volksfront – Prognose: 8 %Setzt sich aus Timoschenko-Gefolgsleuten zusammen. Spitzenkandidat: Premier Arseni Jazenjuk.
Oppositionsblock – Prognose: 8 %Zerfallsprodukt der Partei der Regionen
Samopomitsch – Prognose: 8 %Partei des Lemberger Bürgermeisters Andrij Sadowyj
Batkiwschtschina – Prognose: 7 %Partei Julia Timoschenkos. Listenerste ist die in russischer U-Haft sitzende Pilotin Nadja Sawtschenko.
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