Ukraine wählt Präsidenten

Petro Poroschenko
Der "Schokoladekönig" Poroschenko wird wohl die Präsidentenwahlen für sich entscheiden und dann vor nahezu unbewältigbaren Aufgaben stehen.

Er hat Hände geschüttelt, in Kameras gegrinst, Fußballtrikots mit seinem Namen entgegengenommen und Reden gehalten. Er hat Kinder in den Arm genommen, ältere Damen umarmt und ist in Kampfhubschrauber geklettert. In den vergangenen Wochen ist Petro Poroschenko quer durch die Ukraine gereist – vom äußersten Westen in den umfehdeten Osten, vom Norden in den Süden. Und wenn die Ukrainer heute darüber abstimmen, wer der nächste Präsident des Landes werden soll, so ist ihm der Sieg an sich bereits sicher. Fraglich ist nur, ob er ihn im ersten Wahlgang schaffen wird. In Umfragen liegt er um die 50 Prozent, weit vor seiner Kontrahentin, Ex-Premierministerin Julia Timoschenko.

Es ist aber weniger Euphorie als Pragmatismus, der bei den allermeisten Ukrainern die Wahlentscheidung ausmacht – wenn auch mit gewissem Respekt für den Unternehmer, Strippenzieher und Politiker. Aber genau diese Rollen Poroschenkos sind es auch, die Skepsis keimen lassen. Denn eines ist klar: Den geforderten Elitenwechsel im politischen Establishment, für den Hunderttausende monatelang demonstriert hatten, verkörpert Poroschenko nicht. Eher das Gegenteil. Und für viele ist er schlicht das geringste Übel.

Poroschenkos Vergangenheit

Poroschenkos Biografie seit dem Ende der Sowjetunion ist genau die eines Mannes, der es geschafft hat, auf der Butterseite zu landen – wie es so viele gibt. Er handelte (in seinem Fall mit Kakaobohnen), erwarb günstig einen Betrieb (einen Süßwarenhersteller) und baute ihn zu einem Konzern aus. Zugleich baute er ein Investment-Imperium auf, zu dem eine Werft, Rüstungsbetriebe, ein TV-Sender sowie Agrar-Zulieferer gehören. Dann ging er in die Politik und vernetzte sich mit allen Lagern in der Ukraine: Er finanzierte die Orange Revolution 2004, war Außenminister unter Viktor Juschtschenko und später Wirtschaftsminister unter dessen Erzrivalen von 2004, Viktor Janukowitsch.

Er trat zurück und engagierte sich während der Revolution, die im Sturz Janukowitschs mündete. Er war der einzige Unternehmer der Ukraine, der während der Revolution klar politisch Stellung bezog und sich als Führer einer möglichen Übergangsregierung ins Spiel brachte – und genau das kommt ihm jetzt zugute.

Es ist aber vor allem die um sich greifende Unsicherheit angesichts kriegerischer Handlungen im Osten des Landes, die Poroschenko Rückenwind beschert, sowie der ausdrückliche Wunsch vieler, dass es nicht zu einer Stichwahl kommt. Und als einer mit verhältnismäßig sauberem Ruf in den Unternehmer-Zirkeln ist es noch am ehesten er, dem zugetraut wird, Änderungen zu vollziehen.

Die Wunschliste an den Neuen an der Staatsspitze ist lange. Da sind die ökonomischen Probleme, die Korruption, die schwierige Nachbarschaft mit Russland bei zugleich enger wirtschaftlicher Verwobenheit und vor allem der bewaffnete Aufstand im Osten des Landes.

Und Poroschenko hat Lösungen parat, wie er sie bei Auftritten darbot: eine Annäherung an die EU, ein Freihandelsabkommen mit der EU, die Schaffung von Jobs mit fairem Gehalt (hier verwies er gerne auf seine eigenen Unternehmen und die Löhne dort), die Neuordnung der Armee und ein hartes Vorgehen gegen Separatisten. Er sprach sich für eine Stärkung der Regionen aus, aber gegen eine Föderalisierung, wie sie Russland fordert. Nur was die NATO angeht und eine Annäherung der Ukraine an dieselbe, hier vermied es Poroschenko tunlichst, das Thema auch nur zu streifen.

In Kreml-nahen Kreisen ist indes davon die Rede, dass Poroschenko durchaus einer sei, mit dem man könne. Und Poroschenko selbst sagte zuletzt: "Natürlich kenne ich Putin gut. Ich habe viel Erfahrung in Gesprächen mit ihm. Ich kann bestätigen, dass diese Diskussionen nie einfach sind." Dennoch zeigte er sich zuversichtlich, was den Aufstand in der Ostukraine angeht: Binnen drei Monaten werde dieses Thema gelöst sein. Beobachter sehen vor allem Poroschenkos Umfrageerfolge hinter der zuletzt weicheren Gangart Moskaus in der Ukraine-Krise.

Selbstbewusstsein

Wenn auch Poroschenko nicht den Generationenwechsel in den ukrainischen Eliten verkörpert, so hat er es doch mit einem Wahlvolk zu tun, das durch die Ereignisse der vergangenen Monate vor Selbstbewusstsein strotzt. Und es ist genau dieses vor Selbstbewusstsein strotzende, neue Wahlvolk, das ihn kritisch beobachtend gewähren lässt – gestützt durch die Überzeugung, dass kein Präsident sich jemals wieder der Kontrolle des Volkes entziehen wird können und, dass das Volk jederzeit wieder zu Hunderttausenden auf die Straßen gehen wird, sollte über seine Köpfe hinweg regiert werden.

Die Politikwissenschafterin Tatyana Nagornyak von der Universität Donezk drückt es gegenüber dem KURIER so aus: "Die Politiker wissen heute, dass in einer Minute Tausende auf dem Maidan (dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, Anm.) stehen können. Der Maidan ist zu einer Macht im Staat geworden."

Putin wird die Wahl anerkennen. Nagornyak spricht von einem "post-imperialen Syndrom", auf die Frage, ob das denn wichtig sei.

Selbst wenn dem "Schokoladekönig" Poroschenko ein Erdrutschsieg gelänge – er wird kein strahlender Sieger sein. Seine Wähler haben ihn nicht mit Vertrauen gesegnet, sondern mit nahezu unlösbaren Mammutaufgaben beauftragt – auf dem Weg der Ukraine von der Traufe in den Regen, sozusagen. Und vor dem neuen Präsidenten liegen harte fünf Jahre.

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