Von der verlorenen Tochter zur Staatsfeindin

Von der verlorenen Tochter zur Staatsfeindin
Die Ex-Kampf-Pilotin Nadia Sawtschenko soll einen Umsturz und die Ermordung der gesamten politischen Elite der Ukraine geplant haben.

Das Symbol des Widerstands gegen Russlands Aktionen in der Ukraine war sie gewesen.  Legendär waren ihre exzentrischen Auftritte vor einem russischen Gericht. Sie sang die ukrainische Nationalhymne und zeigte demonstrativ null Respekt vor dem Richter. Sie ging mehrmals in Hungerstreik. In Abwesenheit und ohne jegliche politische Erfahrung wurde sie ins ukrainische Parlament gewählt. Jetzt sitzt Nadia Sawtschenko erneut in Haft. Nur diesmal in der Ukraine. Am Freitag wurde sie dem Haftrichter vorgeführt, am Donnerstag hatte ihr das Parlament die Abgeordneten-Immunität entzogen. Sie betrachtet sich als Unschuldig – und sie kündigte eine Protestmaßnahme an, die sie bereits in Russland ausgiebig genutzt hatte: Einen Hungerstreik.

Seit Donnerstag ist Sawtschenko damit wieder hinter Gittern. Und das, was Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko gegen die einst so als Heldin gefeierte Ex-Soldatin und zuletzt Parlamentsabgeordnete vorbringt, klingt milde ausgedrückt spektakulär. Vorgeworfen wird ihr, einen Umsturz geplant und vorbereitet zu haben. Aber nicht nur das: Um möglichst die gesamte Führung des Landes sowie die Legislative auszuschalten, sei es der Plan gewesen, das Parlament sowie das gesamte Regierungsviertel von einer Insel im oder einem Schiff auf dem Dnipro aus mit Mörsergranaten in Schutt und Asche zu schießen. Danach habe Sawtschenko persönlich das Parlament stürmen wollen, um Überlebende auszulöschen. Diese Anschuldigung untermauert der Generalstaatsanwalt mit dem Tonmitschnitt eines Gesprächs bei dem es um die Planung der Tat gegangen war.

Komplott

Als Komplize festgenommen wurde zudem Wolodymyr Ruban, der Chef des Offiziers-Corps und der höchstrangige Verhandler in der Ukraine in Sachen Austausch von Gefangenen zwischen den abtrünnigen Gebieten in der Ostukraine und Kiew. Ihm wird vorgeworfen, Waffen für den Umsturz aus den Gebieten unter Kontrolle pro-russischer Milizen auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet geschmuggelt zu haben. Bei einem solchen Versuch war er am 8. März an einem Kontrollposten an der Frontlinie in der Ostukraine festgenommen worden. Auf die Schliche sei man Sawtschenko gekommen, nachdem sie in einer Armeebasis in der westukrainischen Stadt Chmelnyzkyj für ihren Plan rekrutiert habe, aber verraten worden sei.

Mit dem Umstand, dass Sawtschenko als unabhängige Abgeordnete im Parlament saß und dass in ihren Plan anscheinend hochrangige Militärs involviert waren, hat das Land eine veritable Staatsaffäre. Zwar ist Sawtschenkos Heldenstatus in der ukrainischen Gesellschaft längst Geschichte – Aussagen und Handlungen ihrerseits ließen sie als mental kaum berechenbar erscheinen – aber eine solche Tat hatte ihr kaum jemand auch nur im entferntesten zugetraut. Präsident Porschenko, der selbst politisch schwer angeschlagen ist, sprach von einer „russischen Spezial-Operation“, um Chaos zu säen. Eine Erklärung, die zugleich für viele Ukrainer, die dem Präsidenten kaum Vertrauen schenken, durchaus plausibel klingt.

Seit ihrer Heimkehr im Mai 2016 aus russischer Gefangenschaft hatte sich Sawtschenko gewissermaßen auffällig benommen. Schon ihre Rückkehr war ein sehr sonderbarer Staatsakt. Präsident Petro Poroschenko hatte seinen Flieger geschickt und als Sawtschenko dann in Kiew ausstieg, bot sie gleich am Rollfeld eine erste Kostprobe ihrer Widerborstigkeit. Julia Timoschenko, deren Partei mit Sawtschenko als symbolische Listenerste in die Parlamentswahl gegangen war, wurde von Sawtschenko beinhart ignoriert. Ebenso unrund lief der Empfang bei Poroschenko. Dass sie sich in ihrer schroffen Art politischer Vereinnahmung verwehrte wurde ihr aber durchaus hoch angerechnet.

Ausgetauscht

Knapp zwei Jahre hatte Sawtschenko in Russland eingesessen. Im Sommer 2014 war sie in der Ostukraine als Angehörige eines Freiwilligenbataillons pro-russischen Kämpfern in die Hände gefallen und nach Russland verschleppt worden, wo ihr der Prozess gemacht wurde. Vorgeworfen wurde ihr, einen Mörserangriff auf einen Checkpoint pro-russischer Milizen koordiniert zu haben, bei dem zwei russische Journalisten starben. Unter dem Hashtag #freesavchenko lief in der Ukraine eine nationale Kampagne für ihre Freilassung. Schließlich wurde sie gegen zwei russische Soldaten, die in der Ukraine in Gefangenschaft geraten waren, ausgetauscht und ging in die Politik, wo sie sich in windeseile wenige Freunde machte. So verhandelte sie etwa ohne Absprache mit ukrainischen Behörden und Regierungsstellen mit den Anführern in den abtrünnigen Gebieten außer Kontrolle ukrainischer Sicherheitskräfte. Und immer öfter wurde öffentlich die Mutmaßung geäußert, Sawtschenko sei nicht nur verrückt sondern in russischer Haft vielleicht sogar gedreht worden.

Zugleich wurden immer mehr Details über ihr früheres Leben vor dem Krieg bekannt. Und daraus ergab sich das Bild einer zwischen Manie und Depression pendelnden Soldatin, die Jet-Pilotin werden wollte und dazu gezwungen wurde, Hubschrauber zu fliegen; die desertierte, die eigenmächtig agierte. Etwas, das sie anscheinend auch bei der Aktion tat, die zu ihrer Gefangennahme 2014 führte. Da hatte sich Sawtschenko eigenmächtig von ihrer Kampfgruppe entfernt und als die Armee dann zwei Panzer schickte, um sie zu finden, gerieten die in einen Hinterhalt und wurden samt Besatzung ausgelöscht.

Ihr Auftritt vor Gericht am Freitag geriet schließlich zu einer Deja-vu-artigen Show. Sawtschenko im Gerichtssaal-Modus. Sie wies alle Anschuldigungen zurück. Den Schmuggel von Waffen begründete sie damit, dass man zu beweisen versucht habe, dass das von den pro-russischen Milizen genutzte Arsenal aus russischer Produktion stamme. Dazu habe man Munition und Waffen besorgt. Zugleich verweigerte sie es, Stimm- sowie DNA-Proben abzugeben, mit denen unter anderem die Echtheit des Tonbandmitschnitts bewiesen werden soll und kündigte an, in den Hungerstreik gehen zu wollen: Sie kenne das bereits, sagte sie da, wenn Gott wolle, werde sie weiterleben, wenn nicht, werde sie tot sein, ehe man sie verurteilen könne.

Kommentare