Ukraine: Ungelöste Konflikte, gespaltenes Land

Ein ukrainischer Soldat in einer Fabrik nahe Donezk nach Kämpfen.
Vor drei Jahren riefen Separatisten im Osten der Ukraine die Abspaltung ihrer Teilrepubliken aus. Der zugrundeliegende Konflikt ist noch heute ungelöst. Er hat soziale Bande zerstört.

Für Shenja und Alexandra steht der Jahrestag knapp bevor. Als die prorussischen Milizen im Osten der Ukraine vor drei Jahren die Kontrolle übernahmen gingen sie nach Kiew – da erfuhren sie dann, dass sie auf einer Liste der prorussischen Milizen standen, auf der man besser nicht stehen sollte und blieben. Vor knapp drei Jahren war das.

Gestern vor drei Jahren ließen die neuen Autoritären in dem Gebiet darüber abstimmen, ob man sich von der Ukraine loßsagen sollte oder nicht. Das Ergebnis der Abstimmung, die ohne internationale Beobachter und ohne die Zustimmung der Behörden in Kiew stattfand, war schon im Vorhinein klar: Ein Ja.

Shenja und Alexandra werden am Tag der Tage dann Essen gehen. Oder eine Flasche Wein aufmachen. Drei Jahre nach der Machtübernahme im Osten haben sich die beiden in Kiew ganz gut eingerichtet. Studieren, arbeiten, teilen sich eine kleine Wohnung. Sie kommen gut über die Runden. Ein Bruch war es aber. Einer, mit schwerwiegenden sozialen Folgen. Die eigene Familie und Teile des Freundeskreises haben sich quer über die Ukraine verteilt, andere gingen nach Russland, manche blieben – all das binnen weniger Wochen. Freunde waren plötzlich keine Freunde mehr. Zu manchen Freunden brach der Kontakt völlig ab. Zu manchen nicht. Gewisse Themen sind da aber nicht mehr zu besprechen.

Magere Gesprächskultur

Nichts zu besprechen haben auch die Führung in Kiew sowie die selbsterklärten Republiken Donezk (DNR) und Lugansk (LNR) im Osten des Landes. Nur im Rahmen der Gesprächsrunden in Minsk besteht gewisser maßen ein Kontakt auf Delegiertenebene – wobei Kiew tunlichst darauf achtet, keinen offiziellen Vertreter zu entsenden. Nach drei Jahren Krieg sind die Gebiete im Osten faktisch abgespalten. Es gibt eine inner-staatliche Grenze, samt Pass- und Zoll-Kontrollen. Der Warenverkehr ist drastisch eingeschränkt. Bankverbindungen bestehen nicht mehr. Strom wird noch geliefert. In den abgespaltenen Gebieten registrierte Betriebe können nicht in die Ukraine liefern. Betriebe aber, die in der Ukraine registriert sind, droht in den abtrünnigen Gebieten die Zwangsenteignung.

Es sind Probleme und Ungewissheiten, die sich von ganz oben bis ganz nach Unten ziehen. Shenja Eltern besitzen eine Wohnung in Donezk. Sie zu verkaufen, kommt einem Spießrutenlauf gleich, sind die behördlichen Strukturen zwischen der Ukraine und LNR sowie DNR doch keinesfalls harmonisiert. Schulabschlüsse, Zertifikate, Dokumente aller Art werden nicht anerkannt. „Es ist eine Frage der Zeit“, sagt Shenja. „Früher oder später werden die Regionen quasi auf sich selbst gestellt sein.“ Und schon jetzt, so sagt er, sei die Frontlinie im Osten eine, die Welten voneinander trenne, die kaum jemals wieder zusammen in einem Staat existieren können.

Minsker Vereinbarung

Der Oppositions-Block in der Ukraine wiederum, der vor allem die frühere durchaus pro-russisch gesinnte Partei der Regionen umfasst, ringt um eine Position. Serhij Bykow, ein dem Oppositions-Block nahestehender Analyst, fordert die Einbeziehung der USA in die Minsk-Gespräche. Er wirft zugleich den Separatisten wie der ukrainischen Regierung vor, sich nicht an die Friedensvereinbarungen zu halten. Einzelnen Regierungsvertretern, und da im Speziellen dem Innenminister Arsen Awakow, wirft er vor, gezielt den Straßenkampf in den Städten gegen Gegner der Regierung zu suchen. Nur die Vereinbarung von Minsk sei ein Weg gegen den Krieg – nach jetzigem Stand aber habe die Vereinbarung aber nur die Kraft, den Konflikt einzufrieren. Eine Lösung präsentiere sie nicht.

Für Maksim Butkewitsch, einem Menschenrechtsaktivisten der bei der Revolution gegen die Regierung der Partei der Regionen unter Präsident Janukowitsch vor mehr als drei Jahren aktiv mitgemacht hatte, ist heute zuweilen aber nicht ganz klar, wer in der Ukraine die Linie vorgibt. Besonders in humanitären Theman stelle sich die Frage, ob die Regierung nicht zuweilen die Position radikaler Kreise für eigene Zwecke verwende. Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, dass radikale Kreise die Linie vorgeben. Wer in diesem Wechselspiel die Oberhand habe, ist nicht ganz klar. Ein Umstand, der alle möglichen Bereiche der inner-ukrainischen Politik betrifft. Vor allem aber auch die Handhabe im Umgang mit dem Krieg in der Ostukraine und der annektierten Krim, wo Aktivisten verschiedenster Lager direkt an den Kontaktlinien mitunter die staatliche Politik Kiews torpedieren.

So oder so. An eine Lösung der Krise glauben auch nicht Alexandra und Shenja. Ebensowenig an eine Rückkehr. Donezk, wo heute ein bigotter Konservativ-Stalinismus zelebriert wird, so sagen beide, sei für sie Vergangenheit. In vielerlei Hinsicht – Ideologisch wie ganz persönlich für sie selbst.

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