Ukraine-Russland – zwei Kirchen über Kreuz

Orthodoxie: Das Kiewer Patriarchat strebt nach ökumenischer Anerkennung – Moskau schäumt

An Kirchen mangelt es in der Ukraine nicht. Nicht an glänzenden Goldkuppeln, nicht an Gläubigen, aber ebenso nicht an kirchlichen Autoritäten, die für sich den Legitimitätsanspruch stellen. Ein typisches Dorf, wie man sie quer durchs Land findet, eine Streusiedlung: Am einen Ende eine Russisch Orthodoxe Kirche, am anderen Ende eine Kirche des Kiewer Patriarchats, und vielleicht noch – befindet man sich im Westen des Landes – an anderer Stelle ein Gotteshaus der Griechisch Katholischen Kirche (wo nach orthodoxem Ritus gebetet wird, die aber mit Rom uniert ist).

Es ist die Kirche des Kiewer Patriarchats, die in den allermeisten Fällen mehr Zulauf hat. Geschätzte 45 Prozent der Bevölkerung gehören ihr an. Es ist aber die Russisch Orthodoxe Kirche, die im orthodoxen Umfeld nach Kirchenrecht Legitimität besitzt – obwohl sich nur 13 Prozent der Ukrainer zu ihr bekennen. Denn: Ein Kiewer Patriarchat existiert streng genommen nicht. Den orthodoxen Anspruch auf die Ukraine erhebt das Moskauer Patriarchat – und hat diesen Zustand im Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel (quasi dem Dachverband der Orthodoxie) bisher bestens zu verteidigen gewusst. Gegen die orthodoxe Praxis, wonach nationale Patriarchate anerkannt werden.

Und genau das könnte sich jetzt in der Ukraine realisieren. Derzeit jedenfalls prüft das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, dem Kiewer Patriarchat die Autokephalie zu verleihen, was einer Legalisierung der Kirche im orthodoxen kirchenrechtlichen Sinn gleichkäme. Und aus Istanbul kommen in dieser Sache durchaus positive Signale.

Austritt Moskaus

Das lässt Moskau schäumen. Denn nach orthodoxem Kirchenrecht, darf es in einem Staat keine zwei rivalisierenden Kirchen unter dem Dach des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel geben. Das Moskauer Patriarchat hätte demnach also keinerlei Zugriff auf die Ukraine mehr. Moskau brach jetzt jeden Kontakt zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel ab und trat aus allen Gremien der orthodoxen Ökumene aus. Zudem werde man Patriarch Bartholomeos I. von Konstantinopel bei den Messen nicht mehr erwähnen.

Was russisch Orthodoxe Popen in der Ukraine aber auch Gläubige in dieser Sache immer wieder ins Rennen führen ist dabei der Umstand, dass praktisch alle Ukrainer, die vor 1991 getauft wurden  (also in den Zeiten der Sowjetunion) Russisch Orthodox getauft wurden. Eine andere Kirche existierte praktisch nicht.

Was das Moskauer Patriarchat aber besonders schmerzt ist der Umstand, dass es den Zugriff auf eine für die ostslawische Christenheit besonders symbolträchtige Stadt verlieren könnte: Kiew. Von hier wurde 988 die Kiewer Rus christianisiert. Hier lag über Jahrhunderte das intellektuelle Zentrum der ostslawischen Christenheit, ehe ab dem 15. Jahrhundert zunehmend Moskau zum Machtzentrum wurde. Das Moskauer Patriarchat betrachtet sich als Patriarchat der gesamten „Rus“. Und die Ukraine ist da aus den Augen Moskaus ein integraler Bestandteil. Einige der aus Sicht der Popen in Moskau wichtigsten Heiligtümer liegen in der Ukraine. Etwa das riesige Höhlenkloster Pcherska Lawra in Kiew.

Was in der Ukraine allerdings die kirchlichen Unabhängigkeitsbestrebungen zusätzlich befeuert ist der Umstand, dass die Russisch Orthodoxe Kirche alles andere als eine rein geistlich operierende Institution ist und jemals war. Viel eher war sie quer durch die Geschichte und ist noch immer eine Organisation, die im Gespann mit dem Kreml Politik macht. Und wenn es darum geht, Regionen, Gebiete oder Staaten an Moskau zu binden, decken sich die Ziele der Kremlherren und der Popen. Als etwa auf dem Maidan in Kiew 2013 Hunderttausende für eine West-Anbindung der Ukraine Demonstrierten, war es die russische Orthodoxie, die zu einem gemeinschaftlichen Stoßgebet gegen die Revolution aufrief. Und auch sonst waren die Moskau-treuen Popen in der Ukraine selten um politische Kommentare verlegen, wenn es darum ging, das Kirchenvolk zu mobilisieren.

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