Putins psychologischer Krieg: Gründe für das Neutralitäts-Angebot

Putins psychologischer Krieg: Gründe für das Neutralitäts-Angebot
Moskau bietet Kiew Lösung à la Österreich an. Das ist Taktik – zeigt aber auch, dass Putin unter Druck steht

Wenn Putins Sprecher und der russische Verteidigungsminister ausrücken, um im fast selben Wortlaut eine Nachricht in die Welt zu senden – dann kann man annehmen, dass der Kreml will, dass die Nachricht auch wirklich ankommt.

So geschehen am Montag, als Dmitrij Peskow und Sergej Schoigu – scheinbar aus heiterem Himmel – für die Ukraine eine Neutralität nach österreichischem oder schwedischem Vorbild vorschlugen. Das könne „als gewisser Kompromiss angesehen werden“, hieß es.

Viele Fallstricke

Das klingt definitiv anders als die bisher geforderte Entmilitarisierung und Denazifizierung – oder?

Nur zum Teil. „Das ist psychologische Kriegsführung“, sagt Politikanalyst und Russlandexperte Alexander Dubowy. Neutralität klingt nämlich primär in westlichen Ohren nach einem schnellen Ende des Krieges. Für die Ukraine ist sie mit vielen Fallstricken verbunden, denn „eine ukrainische Neutralität – hier müsste sie sich massiv von der österreichischen und schwedischen unterscheiden – ist nur mit Sicherheitsgarantien westlicher Staaten denkbar.“ Das hat Kiews Chefverhandler Michajlo Podoljak auch gleich klargestellt: Zwar betont auch er, dass in den Verhandlungen Fortschritte gemacht worden seien, aber eine Neutralität gebe es nur, wenn westliche Länder – also NATO-Staaten – der Ukraine im Falle eines neuen Angriffs Russlands beistehen. Und zwar mit offiziellen Waffenlieferungen und einer No-Fly-Zone.

Und hier hakt es. Denn das ist für Russland unvorstellbar: „Für Moskau wäre das ein NATO-Beitritt durch die Hintertür“, sagt Dubowy. Und auch der Westen käme in die Zwickmühle: Komme es wieder zu einem Angriff, müssten die Garantiestaaten eingreifen – und das wäre genau die direkte Konfrontation, die der Westen mit Moskau unbedingt vermeiden will.

Daneben ist die Frage des Donbass und der Krim völlig ungelöst. Moskau drängt darauf, die Krim und die gesamten Oblaste Lugansk und Donezk als russisches Territorium anzuerkennen – doch darauf kann sich Selenskij nicht einlassen. „Die Krim abzutreten wäre noch vorstellbar, aber nicht alle drei Gebiete. Zumal es dabei ja nicht bleiben würde: Russland würde die Grenzen fließend festlegen“, sagt Dubowy.

„Pyrrhussieg für Putin“

Bleibt die Frage: Wieso macht der Kreml so viel Wind um die Neutralität? Weil Putin innenpolitisch unter Druck steht, sagt Dubowy. „Immer mehr Menschen aus der Elite sprechen sich gegen den Krieg aus, zuletzt Putins ehemaliger Außenminister Igor Iwanow“, sagt er. „Politisch ist das schon jetzt ein Pyrrhussieg für Putin.“ Die Wunschoption, eine Marionettenregierung in Kiew, lasse sich nicht mehr umsetzen, einen militärischen Sieg könne Russland zwar erzwingen, aber nur mit massiven Opfern in der Bevölkerung. Darum hofft man, mit dem Neutralitätsangebot vor allem den Westen zu locken – der wiederum solle den Druck auf Kiew erhöhen, Zugeständnisse zu machen.

Dort will man aber nicht klein beigeben. In Kiew weiß man freilich, dass der Krieg nur diplomatisch zu lösen ist, „militärisch kann die Ukraine nicht siegen. Aber je länger die Ukraine sich behauptet, desto mehr Zugeständnisse wird der Kreml machen.“

Dazu kommt, dass der Kreml gerne zweigleisig fährt. Das konnte man an einem Auftritt sehen, den Putin am Montag im TV ablieferte. Da sprach er düster davon, dass der Westen Russland mit einem wirtschaftlichen „Blitzkrieg“ vernichten wolle, dass die Ukraine geplant habe, Russland anzugreifen – und dass er „Staatsverräter“ in Russland rigoros verfolgen werde. Auch das ist freilich psychologische Kriegsführung – nur keine, die Hoffnung macht.

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