Drohnenangriff in der Ukraine: "... und plötzlich schlägt das Teufelsding ein“

Pawlorad, Ukraine
Pawlohrad wird immer wieder von russischen Streitkräften beschossen. Die Menschen dort denken aber nicht daran, ihren Widerstand aufzugeben.

Schüsse, ein Knattern. Und plötzlich schießt eine Shahed-Drohne auf den Bildschirm, kommt immer näher, ehe sie knapp vor der Kamera ins Nachbarhaus kracht – und explodiert. Ivans Hände zittern, während er die Handyaufnahme zeigt, die er vor drei Tagen gemacht hat. „Ich dachte mir nicht viel beim Luftalarm, hielt mein Handy hoch – und plötzlich schlägt dieses Teufelsding so knapp vor mir ein. Ich kann nach wie vor nicht gut schlafen“, sagt der ältere Herr. Seine Frau Irina nickt fahrig.

Zerstörte Wohnung

Beide statteten den Nachbarn gerade einen Besuch ab. Zumindest jenen, die noch leben. In der Fassade des Wohnblocks in der Stadt Pawlohrad klafft ein riesiges Loch, wo die Shahed-Drohne einschlug. Eine Wohnung ist komplett zerstört und ausgebrannt – die drei Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Einschlags dort befanden, waren sofort tot.

Einen Stock darüber hat die Explosion den Balkon und Teile der Wände weggerissen. Eine Frau steht dort, wo früher das Wohnzimmerfenster war, und bedeutet winkend, zu ihr heraufzukommen. „Eine Katastrophe“, sagt sie, als sie durch die völlig verwüstete Wohnung führt und sich als Nastia vorstellt.

Einen großen Teil ihrer verbliebenen Habseligkeiten hat sie an der verrußten Wand aufgeschichtet. Ein befreundeter Elektriker versucht währenddessen, neue Leitungen zu legen – „damit zumindest der Herd wieder funktioniert“, sagt Nastia. Dass sie mit dem Leben davonkam, während die Nachbarn in der unteren Wohnung starben, „habe ich noch nicht verarbeitet“, sagt sie, den Tränen nahe. Fasst sich. Beginnt, die Kickboxausrüstung ihrer Tochter zu sortieren.

Sanitäterbasis zerstört

Auf der unbeschädigten Seite des Wohnblocks geht das Leben seinen gewohnten Lauf: Die Sonne scheint, Kinder spielen.

„Wir sind fast 100 Kilometer von der Front entfernt – aber die Russen lassen uns regelmäßig wissen, dass sie in unsere Richtung wollen“, sagt Oleh, ein 26 Jahre alter Feuerwehrmann.

„Am Abend des Drohnenangriffs hatte ich Dienst. Wir taten, was wir konnten.“ Der Angriff dürfte vor allem dem Sanitätsbataillon der „Hospitaliter“ gegolten haben.

Dabei handelt es sich um eine 2014 gegründete Freiwilligeneinheit, die verwundete Soldaten an der Front medizinisch versorgt und evakuiert. Ihre Basis – etwa 300 Meter von Nastias Wohnung entfernt – liegt in Trümmern.

Die Wracks der Rettungsautos sind völlig ausgebrannt. Pawlohrad liegt auf der Autobahn zwischen der Stadt Dnipro und Pokrowsk, jener Stadt, die die russischen Streitkräfte seit Monaten belagern.

An der Front dort finden derzeit blutige Gefechte statt. Die Autobahn fungiert als eine der wichtigsten Logistikrouten – auch für die Behandlung schwer verletzter Soldaten.

Der Drohnen-Sammler

Auch „Did“ („Großvater“, Anm.) war schon oft auf dieser Autobahn unterwegs: 2014 etwa als Kämpfer gegen die prorussischen Separatisten im Donbass.

Jahre später kehrte er als ausgetauschter, ehemaliger Kriegsgefangener zurück – und betreibt heute ein Museum, in dem er unter anderem abgeschossene russische Drohnen und Raketen ausstellt. „Ich bekomme sie über alte Kontakte aus der Armee“, sagt er, während er eine abgefangene Aufklärungsdrohne vom Typ „Orlan“ zeigt: „Primitive Technik, aber extrem wirksam. Russisch eben.“

Besonders stolz ist er allerdings auf eine zum Absturz gebrachte Shahed-Drohne. Ein solches Modell war auch in Nastias Wohnblock eingeschlagen.

Pawlorad, Ukraine

Entschlossenheit

Er selbst habe in der Roten Armee in Afghanistan gedient, kenne die Kampfweise der russischen Streitkräfte. „Sie haben uns zu Beginn stark unterschätzt, jetzt aus ihren Fehlern gelernt. Was sie aber noch immer nicht kapieren: Wir werden uns immer gegen sie zur Wehr setzen. Die ukrainische Bevölkerung wird keine kremltreue Regierung akzeptieren.“

Was, wenn ein russischer Durchbruch bei Pokrowsk gelänge? „Dann werde ich eben wieder hinter den feindlichen Linien Sabotageaktionen durchführen “, sagt Did. Auch der Feuerwehrmann Oleh würde den Schlauch gegen das Gewehr tauschen, wie er sagt. 

Auch Nastia kann „den Russen niemals vergeben“, wie sie sagt. Das deckt sich mit aktuellen Umfragen, wonach 82 Prozent der Ukrainer dagegen sind, die derzeitigen Bedingungen Moskaus zu akzeptieren. Darunter die Forderungen, die Oblaste Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk vollständig den Russen zu überlassen. „Die Menschen, die hier sind, haben ihre Entscheidung schon lange getroffen“, sagt Did. Die vielen Stellungssysteme, die vor Kurzem auch um die Stadt errichtet wurden, unterstreichen das.

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