OSZE-Mission in Gefahr
Was wahr ist und was nicht, was Realität und was Unwahrheit, ist relativ in diesen Tagen in der Ostukraine. Tatsache ist: Am Freitag wusste niemand, wo 200 Kinder geblieben waren, die die belagerte Stadt Slowjansk in fünf Bussen in Richtung Krim verlassen sollten. Laut einem Sprecher der ukrainischen Anti-Terror-Operation seien sie an einem Checkpoint der Separatisten am Rande der Stadt zuletzt gesehen worden. Russischen Medien (Russia Today) zufolge wurden die Kinder an einem Kontrollpunkt der ukrainischen Armee niedergemetzelt.
Im Klima solcher Unsicherheit waren es zuletzt vor allem ausländische Beobachter der OSZE, die gezielt attackiert wurden. Wie die Organisation am Freitag mitteilte, riss erneut der Kontakt zu einem vierköpfigen Team ab. Der Vorfall ereignete sich am Donnerstag Abend rund 100 Kilometer nördlich von Lugansk, nachdem das Team von Bewaffneten aufgehalten wurde.
Auch das Schicksal der am Montag verschleppten vier Beobachter war weiter ungewiss. Pro-russische Separatisten meldeten am Freitag deren Freilassung. Man habe die Männer verwarnt: Nie mehr sollten sie ohne Voranmeldung das Gebiet der "Volksrepublik Lugansk" betreten. Eine Bestätigung der OSZE gab es vorerst nicht.
Ein am Mittwoch vorübergehend festgehaltenes Team ist indes in Sicherheit. Dessen Mitglieder – darunter ein Österreicher – dürfen aber nicht über den Vorfall sprechen, ehe sie nicht wieder in ihrer Heimat sind. Man wolle sie nicht in Gefahr bringen, begründet Natacha Rajakovic von der Wiener OSZE-Vertretung gegenüber dem KURIER diese Maßnahme.
Die Lage in der Ostukraine ist gefährlich und völlig unübersichtlich. "Es ist sehr schwer zu sagen, was dort wirklich vor sich geht", so Rajakovic. Informationen gebe es nur von Regierung, Separatisten und Medien – die kaum objektiv berichteten.
Rollentausch
Eigentlich sollte die OSZE die Lage im Land beobachten und das Abkommen von Genf vom April überwachen. Beschlossen worden war da die Räumung aller besetzten Gebäude. Als die Lage unverändert bliebt, verlegte man sich zunehmend auf eine Vermittlerrolle. "Auch an der Zusammensetzung der "Runden Tische" zur Krisenbeilegung habe man mitgewirkt, so Rajakovic. Eines sei besonders wichtig: " Den Leuten das Gefühl zu geben, dass ihnen jemand zuhört, der keiner Konfliktpartei nahesteht."
Große Erfolge gebe es realistisch betrachtet aber nicht, nur täglich aufs neue den Versuch, Dialog zu ermöglichen. Was schwierig sei: "Wenn es irgendwo Tote gegeben hat, ist es schwer zu sagen: Ihr müsst weiter verhandeln." Stündlich wird nun die Lage bewertet, an ein Ende der Mission denke man nicht – "was sich aber von Minute auf Minute ändern kann". Bevor die Beobachter in die Ukraine reisten, würden sie u. a. in Sicherheitsfragen geschult.
Eines ist klar: Die Einsätze der OSZE werden Tag für Tag komplizierter. Hatten sich die Kämpfe in den vergangenen Wochen auf einige Orte beschränkt, so kommt es seit Wochenbeginn nahezu flächendeckend zu Gefechten. Völlig unklar ist, wer die Oberhand hat. Der neu gewählte Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, hatte ja eine Lösung der Krise "binnen Stunden und nicht binnen Monaten" in Aussicht gestellt – das war vergangenen Montag.
Am Freitag wurden aus mehreren Orten in der Region Lugansk sowie aus der belagerten Stadt Slowjansk Kämpfe gemeldet. In Slowjansk hatten Rebellen am Donnerstag erneut einen Hubschrauber der Armee abgeschossen. Mindestens 12 Soldaten starben, darunter ein General der Nationalgarde. In Donezk bereiteten sich die Aufständischen, die anscheinend zumindest personelle Hilfe aus Russland erhalten (unter rund 50 am Montag getöteten Kämpfern waren mindestens 33 russische Staatsbürger) erneut auf einen Angriff der Armee vor. Indes zeichnet sich im Lager der Separatisten der "Volksrepublik Donezk" ein Konflikt zwischen dem politischen und dem militärischen Arm (Bataillon Wostok) ab. Das Bataillon, das pikanterweise denselben Namen trägt, wie eine in Tschetschenien aktive Einheit des russischen Militärgeheimdienstes GRU, und in dem viele Russen kämpfen, übernahm am Donnerstag das besetzte Regierungsgebäude in Donezk. Beobachter beschrieben das als Coup innerhalb der Sezessionisten.
Nach der Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion durch Russland, Weißrussland und Kasachstan mahnt nun EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle die EU zu konsequenten Schritten: "Wenn wir ernst damit machen wollen, die Länder in Osteuropa zu transformieren, dann müssen wir auch ernsthaft das mächtigste Instrument, das wir zur Umgestaltung haben, nutzen: die Erweiterung", sagte er der Welt.
OSZE: Internationales Gremium mit Sitz in Wiener Hofburg
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist seit 1975 für Friedensförderung, Wiederaufbau und Sicherung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Einsatz, u. a. durch neutrale Beobachter. Sie hat 57 Mitglieder: alle Staaten Europas (außer Kosovo, inkl. Türkei), die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Mongolei, USA, Kanada.
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