Waffenfreak, Angeber, Verschwörungstheoretiker: US-Geheimnisverräter in Haft

Waffenfreak, Angeber, Verschwörungstheoretiker: US-Geheimnisverräter in Haft
Ein 21-Jähriger Soldat der US-Nationalgarde ist Der „Leaker" der Pentagon-Geheimpapiere. Er prahlte mit seinem Wissen online

Es war ein bewusst dramatische Szene: Schwerbewaffnete Beamte des FBI verhafteten Donnerstag Nacht den 21-jährigen Jack Douglas Teixeira, in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Massachusetts. Der Mann, der mutmaßlich den größten Leak geheimer militärischer Daten der USA seit Jahren zu verantworten hat, lebt dort bei seiner Mutter.

Seine gut 25 jugendlichen Anhänger in einer abgeschirmten Ecke der Videospiel-Online-Plattform „Discord” nannten ihn erfürchtig „OG”. Gleich „Original Gangster”. Was anerkennend so viel wie Teufelskerl oder Kupferstecher alter Schule bedeutet.

 

Seltsame Theorien

 

Er selbst gab sich Namen wie "jack the ripper" und gab ständig online mit seinem Wissen und seinem Zugang zu geheimen militärischen Daten an. Er galt als Waffennarr, Anhänger krauser Verschwörungstheorien, soll aber keinerlei politische, oder gar US-kritische Äußerungen von sich gegeben haben.

Dieser „OG” soll nach Recherchen der Washington Post hinter einem der größten US-Geheimdienstlecks der vergangenen Jahre stecken, das seit Tagen Hauptstädte und Regierungen weltweit in Wallung bringt. 

Die Bundespolizei FBI soll den Verdächtigen festgenommen haben. Das berichteten die „New York Times“ und der US-Sender CNN am Donnerstag übereinstimmend.

Die „New York Times” identifizierte den Täter am Donnerstagmittag als den 21-jährigen Jack Teixeira, Mitglied der Nationalgarde im Bundesstaat Massachusetts. Er gehört dem geheimdienstlichen Arm der Nationalgarde an. Nach Angaben seiner Mutter war er zuletzt auf einer Militärbasis auf Cape Cod stationiert.

Gespräch mit minderjährigem Mitglied

Die „Post” hat - nach Einholung der mütterlichen Genehmigung - stundenlang mit einem minderjährigen Mitglied der Chatgruppe geredet. Ähnlich ging die New York Times vor. Ihre Erkenntnisse decken sich.

Der junge Mann, dessen Name zurückgehalten wird, hat gegenüber der Hauptstadtzeitung umfassend geschildert, wie Dutzende hochsensible Dokumente angeblich durch eine Art Unfall ins „world wide web” gelangten. 

Aus Gründen der Authentizität hat die Zeitung ein Video mit dem darauf unkenntlich gemachten Zeugen veröffentlicht, dessen Angaben von einem weiteren Mitglied der Chat-Gruppe bestätigt worden sein sollen.

Danach hat „OG”, dessen Identität und Aufenthaltsort dieser Informant bisher nicht preisgeben hat, schon im vergangenen Jahr während der Corona-Pandemie damit begonnen, Dokumente zu verbreiten, die er einer gesicherten Einrichtung, in der Handy-Verbot geherrscht habe, einsehen konnte. OG wird als Waffen-Narr beschrieben.

Ermittlungen

Eine unabhängige Überprüfung des Wahrheitsgehalt der Geschichte ist zurzeit nicht möglich. Das Verteidigungsministerium verweist auf eine gerade begonnene Sonder-Ermittlung des Justizministeriums. Das Weiße Haus lehnte bisher ebenfalls substanzielle Stellungnahmen ab.

Die Schlüsselfigur des Skandals wird beinahe als heldenhafte Action-Film-Figur a la Jason Bourne geschildert. „Er ist fit. Er ist stark. Er ist bewaffnet. Er ist trainiert. So ziemlich alles, was man in einem verrückten Film erwarten würde”, sagte die jugendliche Quelle in bewunderndem Ton der „Washington Post”. 

"Kein Snowden"

Ein Video, das den „Leaker” (Durchstecher) nach Ausstoßen rassistischer und antisemitischer Tiraden beim Abfeuern einer großkalibrigen Waffe zeigt, soll diesen Eindruck untermauern. 

Über die Motivation der Durchstechereien, die die US-Regierung wie weiland bei Edward Snowden massiv in Verlegenheit und Misskredit bei Verbündeten bringen, liefert der anonym gehaltene Zeuge eine überraschend trivial klingende Erklärung: 

OG sei kein „whistleblower”, der wie Snowden vor zehn Jahren mit der Veröffentlichung von illegalen US-Abhör-Methoden Missstände aufdecken wollte. Auch die Vermutung, es könne sich um einen Agenten handeln, der für Russland und/oder die Ukraine arbeitet, sei abwegig. OG habe vielmehr nur mit seinem Herrschaftswissen die kleine Online-Familie beeindrucken wollen, die er um sich gescharrt habe.

Wo OG politisch steht, bleibt offen. Der Informant schildert ihn als latenten Kritiker der US-Regierung, der Strafverfolgungsbehörden und der Geheimdienste, deren Ziel es sei, die Bürger der Vereinigten Staaten zu unterdrücken.

Als die Hauptfigur dem Abtippen der nur in einer besonders gesicherten Militäreinrichtung einsehbaren Informationen überdrüssig wurde, begann er nach Schilderung des Zeugen mit dem simplen Abfotografieren - und stellte so immer mehr Dokumente seiner Chatgruppe zur Verfügung. Über 300 Aufnahmen soll es geben.

Das Zirkulieren brisantester Papiere aus den höchsten sicherheitspolitischen Kreisen mehrerer Länder in einem eng abgeschotteten virtuellen Raum hätte noch wochenlang unbehelligt weitergehen können. Wenn nicht ein Mitglied Dokumente auf einem anderen Discord-Server platziert hätte, der mit einem YouTube-Aktivisten namens „wow_mao” verbunden gewesen sei. Plötzlich hatten Tausende Discord-Nutzer Zugriff auf die brisanten Unterlagen. 

Verbreitung im März gestoppt

OG habe Mitte März die Verbreitung neuer Infos gestoppt. Anfang April dann tauchten die ersten Papiere, den russischen Krieg in der Ukraine betreffend, auf russischen Telegram-Kanälen und der von Verschwörern und anderen Extremisten genutzten 4chan-Plattform auf.

Für die Zukunft von OG sieht sein ehemaliger Fan und Nutzer schwarz. Der Informant der „Washington Post”, der mit dem  „Leaker” noch in den letzten Tagen in Kontakt stand, schließt nicht aus, dass OG im Strafgefangenenlager Guantanamo landet oder liquidiert wird, wenn die Jagd der Bundespolizei FBI nach ihm erfolgreich sein sollte.

Unrechtsbewusstsein entwickelte der Informant der Zeitung offenbar nicht. Die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, zu erfahren, wie die US-Regierung verbündete wie verfeindete Länder ausspähe, sagte er.

Vorwürfe machte der unter 18-Jährige lediglich dem Teenager, der die Vertraulichkeit der geschlossenen Chat-Gruppe brach und Dokumente der breiten Internetgemeinde zur Verfügung stellte. „Vielleicht hätten wir bessere Sicherheitsvorkehrungen treffen sollen.”

Die Schlüsselfigur sei komplett im Bilde über den durch ihn ausgelösten Aufruhr in der Militär- und Geheimdienste-Szene. „Er wirkt ziemlich durcheinander. Er weiß nicht, wie er die Situation lösen kann.” In seiner letzten Mitteilung an die Chat-Gruppe habe OG dringend darum gebeten, alle Informationen zu löschen, die auf ihn zurückgeführt werden könnten.

 

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