600 Quadratkilometer Land in der Region Cherson unter Wasser

600 Quadratkilometer Land in der Region Cherson unter Wasser
Der ukrainische Präsident Selenskij besuchte unterdessen das Flutgebiet in der Südukraine. Beim Atomkraftwerk Saporischschja wird am Auffüllen der Kühlwasserreserven gearbeitet.

Nach der Zerstörung des Kachowka-Damms im Kriegsgebiet Cherson im Süden der Ukraine fließen weiter Wassermassen aus dem Stausee ab. Der Wasserstand in dem See sei binnen 24 Stunden um einen Meter gesunken und liege mit Stand Donnerstagmorgen (7.00 Uhr MESZ) bei 13,05 Meter, teilte der staatliche Wasserkraftwerksbetreiber Ukrhydroenergo in Kiew mit. Das Mauerwerk nehme indes immer größeren Schaden. Durch den zertrümmerten Staudamm fließt das Wasser im Moment ungehindert ab.

Gemeinsam mit dem staatlichen Energieversorger Ukrenerho würden nun Maßnahmen ausgelotet, um die negativen Folgen durch die Schäden am Kachowka-Wasserkraftwerk zu mindern, teilte der Konzern weiter mit. So solle etwa die Arbeitsweise anderer Wasserkraftwerke und Staudämme oberhalb der zerstörten Anlage auf dem Fluss Dnipro geändert werden, um mehr Wasser vor der Station Kachowka zu stauen und den Druck und die Überschwemmungen im Süden des Landes zu reduzieren.

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Evakuierungen in Region Cherson

In der Gebietshauptstadt Cherson zeigte der Hochwasserpegel am Donnerstagmorgen 5,61 Meter an, wie der ukrainische Militärgouverneur Olexander Prokudin mitteilte. Laut Behörden laufen die Evakuierungen aus überschwemmten Wohnungen und Häusern. Aber viele Menschen wollten das Gebiet nicht verlassen, sagte Produkin. Die Gebietshauptstadt ist unter ukrainischer Kontrolle - anders als der Großteil der Region auf der linken Uferseite, die von russischen Truppen besetzt ist. Wegen der Kriegshandlungen ist die Arbeit von Helfern erschwert und gefährlich.

Russischen Angaben zufolge wurden bisher fast 4.300 Menschen in Sicherheit gebracht. Mehr als 14.000 Häuser seien überschwemmt worden, meldet die staatliche Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf russische Sicherheitsdienste.

600 Quadratkilometer unter Wasser

Nach ukrainischen Angaben sind derzeit 600 Quadratkilometer unter Wasser, darunter 32 Prozent auf von Kiew kontrolliertem Gebiet, 68 Prozent auf von Moskau besetztem Territorium.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Der Staudamm war in der Nacht zum Dienstag zerstört worden. Die Ukraine beschuldigt russische Truppen, das Wasserkraftwerk vermint und dann gesprengt zu haben. Dagegen behauptet Russland, der Staudamm sei durch ukrainischen Beschuss zerstört worden.

Experten halten es auch für möglich, dass der von Russland seit langem kontrollierte Staudamm schlecht gewartet und unter dem Druck der Wassermassen zerstört wurde. Diskutiert wird international die Möglichkeit einer Untersuchung zu den Hintergründen der Katastrophe. Russland hatte die Ukraine am 24. Februar 2022 überfallen und kurz danach weite Teile des Gebiets Cherson besetzt.

➤ Mehr lesen Sie hier: Sabotage oder Terror? Was hinter der Zerstörung des Staudamms steckt

Bei Saporischschja wird Kühlwasser aus Stausee gepumpt

Beim ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja wird mit Hochdruck am Auffüllen der Kühlwasserreserven gearbeitet. Das sei nötig, falls infolge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms und des Ablaufens riesiger Wassermengen bald kein Wasser mehr aus dem dahinter liegenden Reservoir gepumpt werden könne, teilte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, am Mittwochabend mit. Das von Russland besetzte Kraftwerk liegt am nördlichen Ende des Stausees.

Das Absenken des Pegelstands hatte sich nach seinen Angaben am Mittwoch leicht verlangsamt. Wenn der Pegel unter 12,7 Meter sinke, könne kein Wasser mehr auf das Gelände des Kraftwerks gepumpt werden. Grossi schloss nicht aus, dass der Pegel innerhalb von wenigen Tagen unter diese Marke sinken könnte. Deshalb werde, so lange es noch möglich sei, kontinuierlich Wasser aus dem Stausee in Auffangbecken auf dem Gelände gepumpt. Wenn diese Becken voll seien, reiche das Wasser zur Kühlung der sechs Reaktoren für mehrere Monate. Zwar seien die Reaktoren abgeschaltet, aber sie brauchten trotzdem Kühlwasser.

Grossi will nach eigenen Angaben kommende Woche selbst nach Saporischschja reisen, um sich ein Bild von der dortigen Lage zu machen. Die IAEA wolle ihr Team in Saporischschja verstärken.

Weltbank will Schäden einschätzen

Die Weltbank will eigenen Angaben zufolge die Ukraine mit einer zügigen Einschätzung der durch die Fluten ausgelösten Schäden und des Bedarfs unter die Arme greifen. Die Zerstörung des Staudamms habe "viele sehr ernste Folgen für die Erbringung grundlegender Dienstleistungen und die Umwelt im Allgemeinen", schrieb Anna Bjerde, Geschäftsführerin Betrieb bei der Weltbank, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal erklärte ebenfalls auf Twitter, Bjerde habe ihm versichert, dass die Weltbank eine rasche Bewertung der Schäden und des Bedarfs vornehmen werde.

Selenskij besucht Flutgebiet in Südukraine

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij ist in die Hochwasserregion gereist. Im Gebiet Cherson habe er sich ein Bild von den laufenden Evakuierungen gemacht, teilte Selenskij am Donnerstag über seinen offiziellen Telegram-Kanal mit. Er veröffentlichte auch ein Video, das ihn mit Anrainern, Rettern und Soldaten zeigt. Zu sehen sind auch Häuser, von denen nur noch die Spitze des Dachs aus den Wassermassen ragt.

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