In Moskau steht eine heikle Entscheidung an
Nicht nur, dass ihr (militärisches) Ende nahe scheint – in den Rängen der pro-russischen Separatisten in der Ostukraine tut sich angesichts der derzeitigen Bedrängnis vor allem eine Frage auf: Wie pro-separatistisch ist eigentlich Russland? Zwar sickert wie schon bisher nach wie vor Nachschub zu den Kämpfern in der Ostukraine. Was die aber derzeit brauchen – und auch einfordern –, ist kein Tröpfeln von, sondern ein Strom an Waffen. Oder besser: gleich eine Invasion.
Militärisch ist der Krieg zwischen der Regierung in Kiew und den russophilen Neurussen im Osten des Landes aus Moskaus Sicht an einen Punkt gekommen, an dem sich entscheidet: Aufgeben und eine Niederlage kassieren oder einen offenen Krieg starten. Eine Niederlage ist aber aus Sicht des Kreml existenzbedrohend.
Denn damit würde ein gigantisches Propaganda-Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Monatelang war der russischen Öffentlichkeit eingetrichtert worden, wer gut und wer böse ist in diesem Konflikt, und dass man sich zur Wehr setzen müsse gegen "Blackwater, die CIA & Co", die sich gegen Russland verschworen hätten. Moskau hat sich die Krim einverleibt, ohne nennenswerten internationalen Protest, im Osten der Ukraine kämpfen groß-russische Milizionäre. All das mit offener Unterstützung durch Netzwerke in Russland. 20.000 bis 40.000 russische Soldaten sind zugleich an der Grenze zusammengezogen worden. Wenn dieses Projekt jetzt also scheitert, die so vielfach beschworenen Feinde (EU, NATO, USA, CIA, die "Kiew-Junta") siegen, brächte das Putin in Erklärungsnot – und sein Image als Macher und Sieger würde einen Dämpfer erhalten.
Dem aber nicht genug. Mit der Idee Neurusslands hat sich ein Konstrukt artikuliert, das zwar alles andere als neu ist, das aber von Menschen geträumt wird, die eine wachsende Macht in Russland darstellen: Traditionalisten und Nationalisten, die zum Teil schon bisher militärisch organisiert waren, jetzt aber über echte Kampferfahrung verfügen. Schon bisher hatte die russische Polizei ungewohnt zurückhaltend und nahezu verängstigt reagiert, wenn diese Gruppen etwa in Moskau im vergangenen Sommer gegen Kaukasier wüteten.
Putins Umfragehoch
Die Einverleibung der Krim war in diesen Kreisen besonders laut bejubelt worden – und mit ihr Putin. Jetzt aber sind es genau diese Leute, die für eine offene russische Intervention eintreten – und Putin zunehmend für sein Zögern geißeln. Zugleich sind es militärische Abenteuer, die Putins Umfragewerte beflügeln: Derzeit liegt er bei einer Zustimmungsrate von 87 Prozent und damit praktisch gleichauf mit seinem Umfragerekord während der Georgien-Krise 2008.
Ein Krieg aber würde im Fall der Ukraine wohl wirtschaftlich massive Folgen haben – und in der russischen Geschichte gibt es ein Kontinuum: Eine kritische Masse erreichten Oppositionsbewegungen immer dann, wenn es wirtschaftlich eng wurde.
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