Klitschkos Strategie trifft Timoschenko hart

Oppositionspolitiker Vitali Klitschko
Klitschko tritt nicht bei Präsidentenwahlen an – er unterstützt Timoschenkos stärksten Gegner.

Der Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko (42) warf das Handtuch im Rennen um das Präsidentenamt in der Ukraine. Der Vorsitzende der Partei Udar (Schlag), der im Westen populärer als in der Ukraine ist, zog am Samstag seine Bewerbung zugunsten des proeuropäischen Milliardärs und Ex-Ministers Pjotr Poroschenko zurück.

Dem Oligarchen gehört der sehr populäre und einflussreiche TV-Sender 5. Kanal. Sein Süßwarenkonzern Roshen hat Poroschenko den Spitznamen "Schokoladenkönig" eingebracht. Der 48-Jährige, einer der zehn reichsten Ukrainer, gilt als Co-Finanzier der jüngsten Massenproteste in Kiew und der Orangen Revolution von 2004. Seinen Wählern verspricht er "eine neue Armee, modern und effizient, die die Souveränität und Integrität der Ukraine verteidigt".

Poroschenko liegt in Umfragen mit 25 Prozent weit vor Klitschko (neun Prozent) und Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko (acht Prozent). Die Partei der Regionen des gestürzten Präsidenten Janukowitsch entschied gestern, den moskautreuen Ex-Gouverneur von Charkiw, Michail Dobkin, ins Rennen zu schicken. Zudem tritt eine Ärztin als unabhängige Kandidatin an.

"Die einzige Chance zu siegen, ist die Nominierung eines Einheitskandidaten der demokratischen Kräfte", erklärte Klitschko, der nun Bürgermeister von Kiew werden will, seine Entscheidung und forderte Timoschenko auf, ihre Bewerbung ebenfalls zurückzuziehen. Doch die dachte gar nicht daran – dabei gilt sie bei einer Stichwahl gegen Poroschenko als chancenlos. Dennoch wurde die 53-Jährige von ihrer Vaterlandspartei einstimmig zur Kandidatin für die Wahl am 25. Mai gekürt. Sie rief erneut zu Widerstand gegen die Annexion der Krim auf.

Russlands Außenminister Lawrow betonte, alle Appelle, die Krim herauszurücken, seien "absolut aussichtslos". Moskau habe aber nicht die Absicht, die Grenze zur Ukraine zu überschreiten. Lawrow trifft heute in Paris US-Außenminister Kerry. Das hatten Kreml-Chef Putin und Präsident Obama in ihrem Telefonat am Freitag vereinbart.

Ein persönliches Gespräch über die Situation in der Ukraine und speziell auf der Krim haben Freitagabend US-Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin geführt. Gesprochen wurde über die Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung. Putin habe angerufen, um einen US-Vorschlag zur Lösung des Konflikts zu erörtern, hieß es aus dem Weißen Haus. Obama habe geantwortet, dass Russland konkret und schriftlich darauf antworten solle. Der Vorschlag war von US-Außenminister John Kerry dem russischen Chefdiplomaten Sergej Lawrow zu Wochenbeginn in Den Haag unterbreitet worden. Obama betonte nach Angaben des Weißen Hauses in dem Telefonat, die Regierung in Kiew bereite eine Verfassungsreform und demokratische Wahlen vor. Dies sei aber nur möglich, "wenn Russland seine Truppen zurückzieht und keine Schritte zur weiteren Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine unternimmt". Laut dem Weißen Haus stimmten Obama und Putin überein, dass sich Kerry und Lawrow erneut treffen sollten, "um nächste Schritte zu besprechen".

Die USA haben das Referendum auf der Krim vor zwei Wochen als illegal bezeichnet und die anschließende Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel durch Russland verurteilt. Moskau hatte argumentiert, die Krim gehöre historisch zu Russland, zudem seien die dort lebenden russischen Landsleute gefährdet gewesen.

Russland plant keinen Einmarsch

Beschwichtigungsversuche kamen am Samstag auch von Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Er hat die Befürchtungen eines bevorstehenden russischen Einmarsches in die Ukraine zu entkräften versucht. Russland habe "nicht die geringste Absicht", die Grenze zur Ukraine zu überqueren, sagte Lawrow am Samstag dem russischen Staatssender Westi. Auch seien sich der Westen und Russland näher gekommen und eine "gemeinsame Initiative" für Kiew sei möglich. Er spielte dabei auch auf das Telefonat zwischen Putin und Obama an.

Angaben der ukrainischen Regierung, Russlands Präsident habe an der Grenze "fast 100.000 Soldaten" zusammengezogen, hatten in den vergangenen Tagen für Beunruhigung gesorgt. Die US-Regierung geht davon aus, dass rund 20.000 russische Truppen in Grenznähe stationiert sind. Moskau hat Berichte über größere Truppenbewegungen dementiert.

Wirtschaftlich schlechte Aussichten für Russland

Die Krim-Krise setzt Russland nun auch wirtschaftlich stark unter Druck. Nach Standard & Poor's und Fitch prüft mit Moody's nun auch die dritte der großen Ratingagenturen eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Landes. Der Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Unsicherheiten schwächen das ohnehin schon angeschlagene Investitionsklima und die mittelfristigen Aussichten der russischen Wirtschaft, wie es in einer Moody's-Mitteilung vom Freitagabend hieß. Statt einem Wachstum von zwei Prozent erwartet Moody's heuer ein Schrumpfen der russischen Wirtschaft um ein Prozent.

Sie brannten zwar nicht, aber die Botschaft war klar. Am Freitag trugen maskierte Männer Autoreifen vor das Parlament in Kiew. Mit Eisenschilden und Splitterschutzwesten adjustiert blockierten sie dann die Eingänge zur Obersten Rada. 2000 kamen, um "Verräter" und "Tribunal" zu skandieren. Schon am Vorabend hatten sie versucht, das Parlament zu stürmen, es dann aber nach Vermittlung durch Präsidentschaftskandidaten Petro Poroshenko und Vitali Klitschko gelassen.

Das alles, während in ukrainischen Medien dieser Tage vor allem die Rede ist vom russischen Truppenaufmarsch entlang der ukrainischen Ostgrenze und einem möglichen, baldigen, wahrscheinlichen oder vielleicht doch unmittelbar bevorstehenden Einmarsch russischer Truppen - Spekulationen. Aber eben solche, die alles andere als beruhigend wirken und den inner-ukrainischen Stresspegel der vergangenen Monate konstant hoch halten.

Wen die maskierten Herren am Freitag vor dem Parlament mit "Verräter" meinten, ist klar: Innenminister Arsen Awakow. Und worum es im Näheren ging, ist ebenso klar: den Tod von Alexander Musytschenko, Kampfname Sashko Belyj, Tschetschenien-Veteran und hoher Kommandant des Rechten Sektors sowie die Offensive der ukrainischen Sicherheitskräfte gegen die rechtsextreme Miliz.

Ungeklärt

Musytschenko war vergangenen Montag in einem Restaurant in der westukrainischen Stadt Riwne getötet worden. Ein Sonderkommando des Innenministeriums hatte den Gastgarten, in dem er gerade mit Kampfgenossen zusammensaß, gestürmt. Wie Musytschenko genau starb und durch wen, ist nicht restlos geklärt. Anscheinend hatte er aber aus einer automatischen Waffe das Feuer auf die Polizisten eröffnet. Im ganzen Land kam es zeitgleich zu Polizeiaktionen gegen den Rechten Sektor. Der schwörte daraufhin Rache.

Es war dies der vorerst letzte Höhepunkt in den Reibereien zwischen der rechten Splittergruppe und den Sicherheitskräften. Ein Angebot, in der neu geschaffenen Nationalgarde zu dienen, hatte der Rechte Sektor zuvor abgelehnt. Awakow hatte danach allen bewaffneten Milizionären mit Verhaftung gedroht, sollten sie ihre Waffen nicht abgeben. Dann der Tod Musytschenkos. Zu seinem Begräbnis kamen dann geschätzte 5000 Menschen – und viele davon mit Kalaschnikows. Eine Kampfansage.

Was der Rechte Sektor jetzt vorhat, welche Aktionen er nun als "Rache" vorsieht, ist völlig unklar. Klar ist aber, dass die schiere Existenz einer undurchsichtigen, bewaffneten Miliz angesichts der russischen Drohung, russischen Bürgern in der Ukraine militärisch zu Hilfe eilen zu können, unkalkulierbare Risiken birgt. Und so lautet auch bereits die Kritik vieler Unterstützer der Revolution in Kiew: Der Rechte Sektor biete Russland durch seine Aktionen letztlich nur Stoff für die eigene Medienpropaganda gegen die ukrainische Revolte. Und – so die Befürchtung – vielleicht den Vorwand für einen Einmarsch.

Unsicherheitsfaktor

"Aber bleiben wir am Boden", sagt ein ukrainischer Lokalpolitiker, der anonym bleiben will: "Die extreme Rechte hat in der Ukraine weniger Stimmen als in Österreich." Eine Anspielung auf die Swoboda Partei, die bei den letzten Parlamentswahlen 10,4 Prozent erreichte. Der Rechte Sektor würde bei Wahlen derzeit laut einer Umfrage vor zwei Wochen keine zwei Prozent erreichen – und damit den Einzug ins Parlament verfehlen. Bleibt aber ein Unsicherheitsfaktor: die Waffen.

Und die Waffen auf der anderen Seite der Grenze. In ukrainischen Sicherheitskreisen ist man überzeugt, dass ein russischer Einmarsch bevor steht. Ukrainischen Angaben zufolge hat Russlands Armee 100.000 Soldaten entlang der Grenze zusammengezogen. Laut US-Angaben sind es lediglich 20.000. Der britische Außenminister Chuck Hagel sagte dazu: "Die Realität ist, dass sie (die Russen, Anm.) ihre Kräfte weiter aufbauen." Russland dementiert den Aufmarsch.

Ebenso real sind pro-russische Proteste im Osten des Landes, die diversen Berichten und Zeugenaussagen zufolge massive russische Unterstützung erhalten. Der Inhalt: Der Ruf nach mehr Autonomie im ukrainischen Staatsverband oder nach einem Anschluss an Russland. In den vergangenen Wochen waren bei solchen Protesten bereits drei Menschen gestorben. In Charkiw waren es zwei pro-russische Aktivisten, die anscheinend von ultra-rechten Paramilitärs erschossen wurden – unklar ist, ob diese mit dem Rechten Sektor verbunden sind.

"Ich bin nicht sicher, wie sehr Dmitri Jarosch (Anführer des Rechten Sektors, Anm.) seine Leute unter Kontrolle hat", so die Journalistin Tatyana Kremen. Sie glaubt nicht, dass die Führung des Rechten Sektors eine offene Konfrontation mit den Sicherheitskräften sucht und glaubt eher an Kraftmeierei. "Sie sind nicht so stark, wie sie sagen, sie sind nicht so groß, dass sie einen Krieg beginnen können", sagt sie. Und schließlich: Dmitri Jarosch wird bei den Präsidentenwahlen am 25. Mai antreten. Was sie jetzt nicht bräuchten, sei eine Eskalation.

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