"Sehr organisiertes Verbrechen"

"Sehr organisiertes Verbrechen"
Dem gestürzten Janukowitsch werden viele Untaten vorgeworfen – bis hin zum Massenmord.

Für die, die jetzt in Kiew das Sagen haben, ist er einer, der gejagt werden sollte, wie der Bösewicht in einem Western-Film. Kleine Plakate mit seinem Porträt, über dem das Wort "Gesucht" steht, hängen überall in der Stadt. "Massenmörder" nennt man ihn, einen Menschen mit "höchster krimineller Energie", einen "faulen Sonnenkönig", der jede Beziehung zu seinem Volk verloren habe – hinter den hohen Stahlwänden seines opulenten Anwesens.

Nach einer mehr als eine Woche dauernden Flucht ist Janukowitsch nun in Russland. Dort genießt er zwar Wladimir Putins Schutz, ist aber nicht wirklich wohl gelitten. Für Russland hat der gestürzte Ex-Präsident seine Schuldigkeit getan. Denn in Moskau weiß man genau: An die Macht zurück, wo Janukowitsch auch Russlands Einfluss exekutieren sollte, wird er nie wieder zurückkommen.

Dennoch sieht sich Janukowitsch nach wie vor als legitimer Präsident. Einer aber, der vor der eigenen Justiz fliehen musste: Das ukrainische Innenministerium hat ihn auf die Liste der meistgesuchten Personen gesetzt. Der Vorwurf: Massenmord – 90 Menschen starben während der Proteste.

Was genau sich hinter den meterhohen grünen Sichtschutzwänden von Janukowitschs Anwesen zugetragen hat in den vergangenen vier Jahren seiner Regentschaft, wird gerade dieser Tage von Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft rekonstruiert.

Milliarden abgezogen

Bisher existieren nur Einschätzungen. Ein politischer Insider und Unternehmer mit gutem Draht zur gegenwärtigen Führung nennt Janukowitschs Handhabe der vergangenen Jahre: "Sehr organisiertes Verbrechen". Arseni Jazenjuk, gegenwärtig Interimspremier, beschuldigte die abgetretene Führung, in den vergangenen drei Jahren 37 Mrd. Dollar an Krediten und 20 Mrd. Dollar an Reserven der Nationalbank gestohlen zu haben. Dieses Geld sei in Offshore-Guthaben geflossen.

"Sehr organisiertes Verbrechen"
Ukrainian President Viktor Yanukovich (L) gives a wink to his Russian counterpart Vladimir Putin during a signing ceremony after a meeting of the Russian-Ukrainian Interstate Commission at the Kremlin in Moscow in this December 17, 2013 file photo. To match Special Report UKRAINE-RUSSIA/DEAL REUTERS/Sergei Karpukhin/Files (RUSSIA - Tags: BUSINESS POLITICS)
Tatsache ist: Ein enger Kreis um den Präsidenten war in den vergangenen Jahren zu enormem Reichtum und großer politischer Macht gekommen. So die Brüder Kljujew, die Azarows sowie sein eigener Sohn Oleksandr, ein gelernter Zahnarzt und heute einer der reichsten Personen der Ukraine.

Tituliert wurde diese Runde von den Ukrainern mit dem wenig schmeichelhaften Namen "die Familie". Unklar ist, wer in diesem Zirkel das Sagen hatte – es gibt Vermutungen, dass der eher dröge Janukowitsch kaum selbst der tatsächliche Entscheidungsträger, sondern nur das politische Exekutivorgan anderer gewesen sein kann. Immer wieder werden in diesem Zusammenhang die Kljujews genannt, die das aber vehement zurückweisen.

Der Staat als Mafia

Über die Methoden der Familie sagt ein ukrainischer Unternehmer: "Die Staatsorgane als Handlanger der Mafia – Schutzgeld ging an die Steuerfahndung. Wer nicht zahlte, dem drohte ein Verfahren vor einem Janukowitsch-treuen Richter. Und wer dann noch Probleme machte, wurde mit dem Tod bedroht. Die Ironie an der Sache: Es war praktisch egal, ob man auch tatsächlich Steuern zahlte."

Schätzungen gehen davon aus, dass in der Ukraine in den vergangenen Jahren bis zu 50 Prozent des BIP an der Steuer vorbei erwirtschaftet wurden. Ein Problem, das zwar immer vorhanden, aber in den vergangen Jahren eskaliert war.

Neben diesen Verbrechen sind es vor allem Menschenrechtsverletzungen, die Janukowitsch angelastet werden. Wahlfälschungen oder Unterdrückung der Pressefreiheit sind die weniger schwerwiegenden Anschuldigungen. Wer genau den Polizisten die Order gab, auf dem Maidan zu schießen, ist noch nicht endgültig geklärt. Publik wurden auch Pläne zur Niederschlagung der Proteste, die den Einsatz von Panzern und scharfer Munition in weitaus breiterem Umfang als geschehen vorgesehen hätten. Und unklar ist auch, wer die vielen zivilen Schlägerbanden aufstellte, die für Verbrechen bis hin zu Mord, Geiselnahmen und Folter während der drei Monate langen Proteste verantwortlich gemacht werden.

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