Invasion, nur in anderer Form

Eine Frau mit einem Sankt-Georgs-Band – ein russisches Symbol militärischer Tapferkeit – vor der Regionalverwaltung in Donezk
Nach der Krim bereiten Kiew nun vor allem Abspaltungstendenzen in der Ostukraine Sorgen. Russische Truppen übernahmen Grenzschutzposten.

Viel bedeutsamer als Nationalfahnen oder Hymnen auf der Krim scheint die Suche nach der perfekten Welle zu sein – jene, die durch die Luft schwirrt, wohlgemerkt. Am Freitag wurde die Annexion der Krim auch medial realisiert. Bewaffnete gemeinsam mit Vertretern russischer TV- und Radiostationen stürmten die lokale Sendebehörde: Der klar aufseiten der neuen Führung in Kiew positionierte ukrainische 5.Kanal wurde abgeschalten, ebenso der ukrainische Sender 1+1 – stattdessen wird jetzt die Welle von Rossija 24 gesendet.

Am Samstag ist es nach ukrainischen Angaben erneut zu einem Zwischenfall mit russischen Soldaten gekommen. Ukrainische Grenzschützer seien aus einem Außenposten im Osten der Halbinsel vertrieben worden, teilten die Grenztruppen am Samstag in Kiew mit. Eine unabhängige Bestätigung dafür gab es zunächst nicht.

Referendum

Am 16. März soll auf der Krim über die Zukunft innerhalb des ukrainischen Staates oder im russischen Staatsverband abgestimmt werden. Ein Referendum, das von EU, USA und Kiew als illegal und völkerrechtswidrig angesehen wird. Alles andere als eine klare Zustimmung für den Anschluss wäre unter den gegebenen Umständen eine Sensation – und Russland signalisiert volle Bereitschaft für die Aufnahme.

Das, obschon vor einem Jahr laut Umfragen lediglich 23 Prozent der Bewohner der Krim für eine Angliederung der Krim an Russland und 53 Prozent für ihren Verbleib bei der Ukraine waren.

Der ukrainische Geheimdienst SBU hat derweil Ermittlungen gegen Vertreter der separatistischen Regierung auf der Krim begonnen. Die Krim ist dabei aber bei Weitem nicht das einzige Feld der Ermittlungen.

Wie der SBU bekannt gab, wurde der selbst erklärte Schatten-Gouverneur von Donezk festgenommen. Pawel Gubarew war Anführer der stärksten Sezessionsbewegung in der Ostukraine. Der Unternehmer hatte die mehrmalige Besetzung des Regierungsgebäudes in der ostukrainischen Großstadt Donezk angeführt und ein Referendum über die Loslösung der Region von der Ukraine gefordert. Seine Festnahme wird vor allem als Warnsignal an andere separatistische Bewegungen in der Ostukraine gesehen. Denn auch in Lugansk, der Millionenstadt Charkiw, Saporischschja oder Mykolajiw waren Regierungsgebäude von pro-russischen Demonstranten gestürmt worden. Im Klima unklarer Verantwortungen hatte sich die Polizei bei all diesen Aktionen zurückhaltend verhalten – und direkte Konfrontationen zwischen den Protest-Lagern oft nicht verhindert.

Inmitten all dem aber steht der Rückhalt der Bevölkerung im Osten der Ukraine in Frage. Laut einer Umfrage der Domestic Initiatives Foundation vom 3. März ist etwa in Donezk nur rund ein Drittel der Bevölkerung für eine Angliederung an Russland. In Lugansk und Odessa waren es 24 Prozent und in Charkiw, wo es zu massiven Auseinandersetzungen gekommen war, 15 Prozent.

Laut der Übergangsregierung schürt Russland Proteste in der Ostukraine. Von einer Invasion wie auf der Krim, nur in anderer Form, ist die Rede – in der Form von Demonstranten, die gezielt herbei geschafft würden. Russlands Präsident Putin hatte klar gemacht, dass jede Gefährdung der russischsprachigen Bevölkerung von Moskau zum Anlass genommen werden könnte, um auch auf dem ukrainischen Festland militärisch aktiv zu werden.

Der neue Gouverneur der Region Donezk etwa, der Milliardär Sergej Taruta (ihm gehören die Danziger Werft sowie Stahlwerke in Polen und Ungarn), rief die Bewohner der Grenzregion auf, "Extremisten" zu stoppen, die "subversive Aktionen" vor hätten.

Die Ernennung von Oligarchen zu Gouverneuren (etwa in Donezk, Dnipropetrowsk oder Lugansk) durch die Interimsregierung stößt dabei auf geteilte Meinung. Befürworter sehen einen probaten Weg, um das Machtvakuum zu füllen, Gegner eine Fortsetzung von Freunderlwirtschaft wie zu Janukowitschs Zeiten.

Der gestürzte Präsident derweil scheint andere Sorgen zu haben als die ukrainische Krise. Laut russischen Medien befindet sich Janukowitsch nach einem Herzinfarkt in Behandlung. Sein Zustand sei kritisch.

Der Krieg der Worte in der Krim-Krise hat bereits voll eingesetzt: Die am Donnerstag von der EU beschlossenen Sanktionsmaßnahmen, mit denen der Kreml zu einer Kursumkehr gezwungen werden soll, seien "extrem unkonstruktiv", empörte sich gestern ein Sprecher des Moskauer Außenministeriums. Das Einfrieren von Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und über ein neues Rahmenabkommen für die Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau sei "befremdlich. Man hat den Eindruck, dass diese Entscheidungen nicht vom gesunden Menschenverstand geleitet worden sind", hieß es in Moskau.

Für ein Umdenken in Russland sorgten die Strafmaßnahmen der EU nicht. Ebenso wenig das jüngste, einstündige Telefonat zwischen US-Präsident Barack Obama und Kremlherr Wladimir Putin. Russlands Präsident beharrt in dem Gespräch darauf, dass die neue Führung in der Ukraine durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen sei. Außenminister Lawrow ging noch einen Schritt weiter und meinte zu seinem US-Amtskollegen John Kerry, die Sanktionen könnten zum Bumerang werden und drohte mit Gegenmaßnahmen. In der EU denkt man bereits über weitere Sanktionen nach. Frankreichs Außenminister Fabius drohte mit dem Einfrieren russischer Vermögen, die deutsche Regierung bringt Visa-Beschränkungen für russische Politiker ins Spiel. Washington hat bereits Einreiseverbote gegen Verantwortliche in Russland und der Ukraine verhängt und deren Vermögen in den USA einfrieren lassen.

Kurz fliegt nach Kiew

Als Vermittler in der Ukraine-Krise wird auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz tätig werden. In seiner Funktion als Europarats-Vorsitzender fliegt er am Sonntag nach Kiew. Er will der neuen Regierung ein "Angebot unterbreiten", die Behörden beim Aufbau des Rechtsstaates zu unterstützen. Sanktionen gegen Russland sieht Kurz skeptisch: "Wenn wir einen Krieg verhindern wollen, muss man mit der anderen Seite sprechen."

Eine militärische Antwort auf Russlands Vorgehen in der Krim kommt für Washington nicht infrage. Doch auf der Suche nach geeigneten Gegenmaßnahmen gegen den Kreml drängen vor allem die Republikaner nun massiv auf den Einsatz einer neuen "Waffe": Energie-Exporte.

Ihre Begründung: Nichts fürchte Russland so sehr, wie seinen Einfluss über Europa zu verlieren. Und der laufe überwiegend über die russischen Gaslieferungen – immerhin ein Drittel seiner Gasimporte bezieht Europa aus Russland. Amerika, so urgieren die Republikaner, sei nun in der Lage, diese Macht Russlands zu brechen.

Seit einigen Jahren schwelgen die USA im Schiefergasboom ("Fracking"). Die Energiepreise sanken um zwei Drittel. Das Land fördert mittlerweile so viel Gas und Öl, dass es noch in diesem Jahrzehnt Saudi-Arabien und Russland als weltgrößte Öl- und Gasförderer überholen wird. Gasexporte aus den USA gibt es aber bisher nur in Länder, mit denen die USA Freihandelsverträge abgeschlossen hat.

Die "E-Bombe"

Das soll sich nun möglichst schnell ändern, drängen republikanische Abgeordnete und Energie-Unternehmen. Schon ist in Washington von der "E-Bombe" die Rede, Energie als Waffe, wie sie ja auch Wladimir Putin immer wieder nütze. Die Falken im Kongress schimpfen bereits: Präsident Barack Obamas Versäumnis, die Energie-Waffe zu zücken, habe Putin in die Hände gespielt.

Im Weißen Haus aber hält man dem Ruf nach der "E-Waffe" entgegen: Bis die USA ausreichend Gas nach Europa liefern können, werden noch Jahre vergehen. Erst müssen in den USA die erforderlichen Pipelines gebaut sowie milliardenteure Häfen und Anlagen errichtet werden, wo das Gas für den erforderlichen Transport verflüssigt werden kann. Und anders als in Russland kann Washington den Energieunternehmen nicht vorschreiben, an wen diese ihre Gasexporte liefern sollen. Amerikas Gasriesen haben als künftige Abnehmer nämlich vor allem China und Indien im Auge.

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