Autogramme geben in der Revolution
Vitali Klitschko wurde wohl nicht als Redner geboren. Und im Ring, mit der Aussicht, einen Faustschlag zu kassieren, fühlt er sich sichtbar wohler, als auf der politischen Bühne. Aber dennoch: Er tut sein bestes dieser Tage in Kiew. Und er tut es immer und immer wieder. Tag für Tag. Er hetzt von Meeting zu Meeting, von Auftritt zu Auftritt.
„Wenn wir diese Revolution gewinnen wollen, sollten wir ihn nicht reden lassen“, sagt ein junger Mann auf dem Maidan und lacht. Er bezeichnet sich an sich als Anhänger Klitschkos. Aber der Mann an der Spitze der Partei UDAR (zu Deutsch, Schlag), hat seine Mankos. Er liest seine Reden ab, sein Ukrainisch hat einen russischen Akzent und wenn er versucht, seinen Ausführungen durch Handgesten Nachdruck zu verleihen, wirkt das ein bisschen so, wie eine feinmotorische Herausforderung, die sehr viel Konzentration bedarf. Auf Journalistenfragen antwortet Klitschko knapp und in bemühtem Polit-Sprech. Alles in allem klingt das nicht nach einer Leitfigur einer patriotischen Revolution wie in Kiew. Eines Aufstandes, bei dem es genau darum geht: Um Natinalstolz, Patriotismus, Sprache und Identität.
Es geht aber auch um Einheit zwischen Ost und West. Und genau diese verkörpert Klitschko wie kein anderer dieser Tage, in denen immer mehr von einer möglichen Spaltung der Ukraine die Rede ist. Neben dem Nationalisten der Partei Svoboda, Oleg Tjahnibok, und dem Chef der Batkivchina, Arseni Jatsenjuk, ist es eben Klitschko, der auch im Osten des Landes Rückhalt hat.
Durchhalteparolen
Der Menge auf dem Platz in Kiew einzuheizen hat indes ein aderer übernommen. Klitschko wird freundlich bejubelt. Ebenso Jazenjuk. Aber, wenn Oleg Tjahnibok die Bühne betritt, wird die Menschenmenge zum Uhrwerk. „Slava Ukraini“ (Ruhm der Ukraine) brüllt er wie alle von der Rednerbühne. Bei ihm kommt die Antwort der Menschenmasse wie das Salut einer militärischen Abteilung: „Gerojam slava“ (den Helden Ruhm). Er hat die Leute hier in der Hand. Gibt Durchhalteparolen aus. Er spricht von Gangstern in Regierungsposten und ruft nach ihrem Sturz. Wenn die Füße zu Eiszapfen werden und die Finger zu gefühllosen Fremdkörpern, sind es seine Sprüche, die vielen hier ein wenig patriotische Wärme bringen.
Aber die Breite, die Svoboda in der gegenwärtigen Protestbewegung für sich beansprucht, ist nicht allen geheuer. Hohe Ränge der Partei betonten schon mitunter in vertraulichen Zwiegesprächen, dass Nationalsozialismus doch nichts anderes sei als eben „nationaler Sozialismus“ und als solches durchaus ein Ziel. Derzeit geben sich die Spitzen der Partei jedoch demonstrativ moderat. Denn gemäßigte Patrioten oder gar den Osten des Landes kann man mit solchen nationalistischen Kampfparolen nicht für sich einnehmen.
„Für eine Revolution braucht es Scharfmacher und Anführer, die die Menschenmenge mitreißen.“
„Wir brauchen diese Leute“, sagt ein junger Unternehmer, der auch auf dem Platz ist und sein „Gerojam slava“ mechanisch mitbrüllt. „Für eine Revolution braucht es Scharfmacher und Anführer, die die Menschenmenge mitreißen.“ Tajnibok ist ein solcher. Klitschko versucht so einer zu sein und arbeitet daran Tag für Tag.
Letztlich ist es für viele hier der Zweck, der die Mittel heiligt. Um die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU ging es ursprünglich. Hinzugekommen ist nach dem gewaltsamen Einschreiten der Polizei das Ziel, die Regierung zu stürzen. Svoboda sowie Klitschkos UDAR als auch die Partei der inhaftierten Ex-Premierministerin Timoschenko, Batkivchyna, sind nur die logistischen Träger der Revolte.
Und vorbei ist diese bei weitem nicht. Heute werden in Kiew so wie schon vergangene Woche wieder hunderttausende Menschen auf die Straße gehen. Und das vor allem aus einem Grund: Um klar zu machen, dass man sich nicht einschüchtern lässt von Gummiknüppeln und Tränengas.
Klitschko eilt derweil von Termin zu Termin, keiner weiß, wo er ist oder sein wird. Anscheinend richtet er sich auf eine lange Protestzeit ein: Ein, zwei oder auch drei Monate könne es schon dauern, sagte er vor Journalisten im improvisierten Pressezentrum im besetzten Gewerkschaftshaus in Kiew. Das sind noch viele Reden, durch die er sich kämpfen wird müssen.
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