Ukraine-Gipfel: "Aktive Gespräche" in Minsk

Russlands Präsident Wladimir Putin, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande in Minsk.
Im weißrussischen Minsk suchen Kanzlerin Merkel, Kreml-Chef Putin und die Präsidenten Hollande und Poroschenko eine Lösung für den Ukraine-Konflikt.

Der Ukraine-Krisengipfel in Minsk hat am Mittwoch in den späten Abendstunden angedauert. Das vorgebliche Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, des französischen Präsidenten Francois Hollande und des ukrainischen Staatschefs Petro Poroschenko: eine Waffenruhe für die umkämpfte Region in der Ostukraine. Das Treffen gilt als bisher wichtigste Initiative, um ein Ende des zehnmonatigen Konflikts in der Ostukraine zu erreichen. Der ukrainische Präsident Poroschenko hatte zum Auftakt in Minsk vor einem Scheitern des Treffens gewarnt und mit einer Verhängung des Kriegsrechts gedroht.

Lawrow: Gespräche verlaufen "aktiv"

Ukraine-Gipfel: "Aktive Gespräche" in Minsk
epa04614811 (L-R) Russian President Vladimir Putin, German Chancellor Angela Merkel, French President Francois Hollande and Ukrainian President Petro Poroshenko pose during for a group photo during the Ukraine peace talks in Minsk, Belarus, 11 February 2015. EPA/MAXIM SHIPENKOV
Nachdem zwischenzeitig die jeweiligen Außenminister hinzugezogen worden waren, setzen die Teilnehmer des Ukraine-Krisengipfels ihre Verhandlungen am späten Mittwochabend erneut im kleinen Kreis fort. Das sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in der weißrussischen Hauptstadt Minsk der AgenturTASS zufolge.

Zunächst hatten Merkel, Putin, Poroschenko und Hollande bereits zwei Stunden beraten, bevor sie für fast zwei weitere Stunden mit ihren Delegationen zusammenkamen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte am Abend, die Gespräche verliefen "aktiv". Dies bedeute "besser als super", erklärte er.

Erklärung zu Souveränität geplant?

Nach Angaben der Delegation aus Kiew planen die Teilnehmer des Minsker Krisengipfels eine gemeinsame Erklärung, die die Souveränität der Ukraine unterstreicht. Auch die territoriale Integrität des Landes solle unterstützt werden, sagte ein ukrainischer Vertreter am Mittwochabend. Gleichzeitig bereite die Ukraine-Kontaktgruppe ein eigenes Dokument vor, das eine Verpflichtung auf die Waffenruhe bekräftige, die im September in Minsk vereinbart worden war. Eine Bestätigung der Angaben aus der Delegation lag zunächst nicht vor.

"Ein Wendepunkt zum Besten oder zum Schlimmsten"

Auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat im Vorfeld des Gipfels eindringlich vor einem Scheitern der Gespräche gewarnt. Dieses Treffen sei "ein Wendepunkt - zum Besten oder zum Schlimmsten", sagte die Italienerin in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Der Gipfel biete Russland "die Chance, zu einer Beilegung der Krise beizutragen". Wenn eine Einigung erzielt werde, seien zwar nicht alle Schwierigkeiten behoben, sagte Mogherini. Doch bei einem negativen Ausgang des Treffens seien "alle Optionen" offen. "Und einige dieser Perspektiven sind sehr beunruhigend."

Separatistenführer reisten nach Minsk

Die Anführer der prorussischen Aufständischen in der Ostukraine, Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizki, sind indes überraschend nach Minsk gereist. Sollte es bei dem Gipfeltreffen zu einem Erfolg kommen, seien die beiden bereit, ein Abkommen zu unterzeichnen, sagte Separatistensprecher Andrej Purgin in Donezk der dpa. Die Führung in Kiew lehnt allerdings direkte Verhandlungen mit den Separatisten ab.

Zweifel an friedlicher Lösung

Am Mittwochabend war unklar, wie lange die Gespräche dauern würden, zu der auch die Außenminister der Verhandlungsmächte angereist waren. Experten des Londoner Instituts für Strategische Studien (IISS) sahen kaum Hoffnungen für eine friedliche Lösung in Minsk. "Es wird nicht deutlich, dass ein Wille da ist", sagte IISS-Chef John Chipman zu den Friedensbemühungen in der Ostukraine.

Sollten die Verhandlungen scheitern, rückt ein Frieden in der Ostukraine noch weiter in die Ferne. Zugleich muss sich Russland auf weitere Sanktionen einstellen. Eine Ausweitung der entsprechenden Liste wurde von den EU-Außenministern bereits am Montag beschlossen. Die neuen Maßnahmen sollen aber erst in einer Woche in Kraft treten.

Zugleich dürfte dem Westen eine verschärfte Diskussion über Waffenlieferungen an Kiew drohen. Der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin bekräftigte am Mittwoch den Wunsch Kiews. "Wir brauchen diese Waffen, um gegen die von Russland unterstützten Terroristen gezielt zurückschlagen zu können", sagt Klimkin der Wochenzeitung Die Zeit. Russland weist Vorwürfe zurück, Partei bei den Kämpfen in der Ostukraine zu sein.

Wichtigste Fragen

Bei dem Treffen steht viel auf dem Spiel: Es geht um Krieg oder Frieden in der Region – und auch um die weiteren Beziehungen zwischen dem Westen und Russland. Der KURIER hat die wichtigsten Fragen zum Treffen beantwortet.

Wer verhandelt?

Lange war nicht klar, ob er selbst kommt – heute Mittag hat der Kreml es verlautbart: Der russische Präsident Wladimir Putin wird am Ukraine-Krisengipfel teilnehmen. Mit ihm am Tisch sitzen sollen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die als Wortführerin der westlichen Allianz zu sehen ist, der französische Präsident Francois Hollande und der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko. Auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist anwesend. Ein Treffen in dieser Konstellation hat es bereits einmal gegeben – bei den Feierlichkeiten zum D-Day in der Normandie im Juni 2014.

Wieso sind die Separatisten nicht dabei?

Seitens der Separatisten sitzt niemand am Tisch, eine direkte Beteiligung an den Gesprächen ist von Kiew nicht gewünscht - dies würde die territoriale Integrität der Ukraine, auf die ja auch der Westen besteht, infrage stellen. Aus den nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine befinden sich allerdings die Separatistenvertreter Wladislaw Dejnego sowie Puschilin vor Ort.

Was wollen die Verhandler?

Merkel will eine diplomatische Lösung, Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt sie ab. Deutschland, Frankreich und die Ukraine wollen, dass die von Separatisten kontrollierten Gebiete am Ende wieder Teil des ukrainischen Staatsgebietes werden - Russland soll zudem die Grenze zur Ukraine schließen und kontrollieren, so soll eine entmilitarisierte Pufferzone entstehen.

Poroschenko will, dass die im September ebenso in Minsk verhandelte Demarkationslinie als Ausgangsbasis nicht verändert wird – die Separatisten wollen ihre Gebietsgewinne aber geltend machen.

Was Putin will, ist schwer zu sagen – er pocht stets auf direkte Gespräche mit den Separatisten und schiebt so die Verantwortung von sich (mehr dazu hier).

Wie hoch stehen die Chancen auf eine Einigung?

Das ist schwer abzuschätzen: Nach Einschätzung aus russischen diplomatischen Kreisen liegt die Chance bei 70 Prozent. "Die Präsidenten reisen nicht ohne Grund (nach Minsk)", hieß es in Moskau am Mittwoch. Der französische Präsident Francois Hollande und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gaben sich deutlich vorsichtiger - sie wollen jedenfalls "alles bis zum Ende versuchen".

In EU-Ratskreisen sind die Hoffnungen noch gedämpfter: Es sei derzeit kaum möglich, den Ausgang zu prophezeien. "Das kann ein schwarzes Szenario sein, das kann ein positives sein und dazwischen gibt es eine Grauzone“, hieß es.

Separatistensprecher Denis Puschilin sagte, die Aufständischen hätten den Teilnehmern am Dienstagabend Vorschläge über "politische und militärische Schritte" zur Entspannung der Krise vorgelegt. Darüber solle nun beraten werden. Eine angebliche Feuerpause hatte am Dienstagabend erste Hoffnungen geweckt, diese waren aber umgehend von den Aufständischen gedämpft worden.

Was sagen die USA?

US-Präsident Obama verhandelt zwar nicht mit, hat aber im Vorfeld mit Moskau telefoniert. Sollte Russland mit seinen "aggressiven Handlungen" in der Ukraine fortfahren, "werden die Kosten für Russland steigen", so der US-Präsident.

Was passiert, wenn es zu keiner Einigung kommt?

Bei einem Scheitern der Vermittlungsgespräche dürfte der EU-Gipfel am Donnerstag verschärfte Wirtschaftssanktionen in die Wege leiten. In EU-Ratskreisen hieß es am Mittwoch in Brüssel, alles hänge vom Ausgang der Minsk-Verhandlungen ab - jedenfalls gebe es seitens der EU das klare Signal, dass die Europäische Union "immer auf der Seite der Opfer von Aggression" sei. "Und die Ukraine ist ein Opfer von Aggression."

Zudem werden Waffenlieferungen weiter ein Thema sein: Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin forderte vom Westen erneut militärische Unterstützung für sein Land. Auch die USA haben in dieser Frage noch nicht entschieden – Obama steht innenpolitisch unter wachsendem Druck, Kiew mit Waffenlieferungen zu helfen. Die meisten europäischen Staaten, darunter Deutschland, lehnen dies strikt ab.

Innerhalb der Ukraine dürfte sich der Konflikt dann weiter zuspitzen: Kiew ist zur Einführung von Kriegsrecht im ganzen Land bereit.

Wird in der Ukraine derzeit gekämpft?

Ja - Berichte über eine Einigung auf einen Waffenstillstand wurden von den prorussischen Rebellen dementiert. Allein am Mittwoch hat es heftige Gefechte mit mehreren Toten gegeben, in Donezk wurden Mittwoch früh mindestens fünf Zivilisten durch Artilleriebeschuss getötet. Seit Dienstag wurden bei den Kämpfen zudem mindestens 19 ukrainische Soldaten getötet.

Kommentar: Panzer-Politik darf sich nicht rechnen

Bereits am 5. September 2014 hatten Vertreter der Ukraine, Russlands, der Separatisten und der OSZE in Minsk eine Feuerpause für die Ostukraine vereinbart. Das sind die von der OECD veröffentlichten zwölf Beschlüsse, um deren

1. Die unverzügliche beiderseitige Unterbrechung der Anwendung von Waffengewalt zu gewährleisten.

2. Das Monitoring und die Überprüfung der Waffenruhe durch die OSZE zu gewährleisten.

3. Die Dezentralisierung der Macht in der Ukraine zu verwirklichen, darunter durch die Annahme des Gesetzes "Über die vorübergehende Ordnung der lokalen Selbstverwaltung in den gesonderten Kreisen der Donezker und Lugansker Gebiete" (Gesetz über den Sonderstatus).

4. Das ständige Monitoring an der russisch-ukrainischen Staatsgrenze und die Überprüfung seitens der OSZE zu gewährleisten, mit der Bildung einer Sicherheitszone in den Grenzkreisen der Ukraine und der Russischen Föderation.

5. Sofort alle Geiseln und ungesetzlich festgehaltenen Personen zu befreien.

6. Das Gesetz über die Nichtzulassung der Verfolgung und der Bestrafung von Personen in Zusammenhang mit den Ereignissen zu übernehmen, die in einzelnen Kreisen der Donezker und Lugansker Gebiete der Ukraine geschehen sind.

7. Den inklusiven nationalen Dialog fortsetzen.

8. Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Situation im Donbass zu ergreifen.

9. Die Durchführung vorgezogener Kommunalwahlen zu gewährleisten, entsprechend dem ukrainischen Gesetz "Über die vorübergehende Ordnung der lokalen Selbstverwaltung in den gesonderten Kreisen der Donezker und Lugansker Gebiete" (Gesetz über den Sonderstatus).

10. Die ungesetzlichen bewaffneten Formationen, die Militärtechnik sowie die Freischärler und Söldner aus der Ukraine herauszuführen.

11. Ein Programm des wirtschaftlichen Wiederaufbaus des Donbass und der Wiederherstellung der Lebensfunktionen der Region zu beschließen.

12. Die Garantie der persönlichen Sicherheit der Teilnehmer der Konsultationen zu gewähren.

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