Ukraine: Eine Stadt bekämpft ihre Polizei

epa03774661 Activists of the Ukrainian Guy Fawkes movement, dressed in uniforms like policemen, protest with inflatable dolls under the slogan 'Better dolls than girls' to support rape victim Iryna Krashkova in front of the Interior Ministry in Kiev, Ukraine, 04 July 2013. Ukrainian Iryna Krashkova, 29, was raped and battered near the village of Vradievka by two local police officers and a forest ranger on 27 June. EPA/SERGEY DOLZHENKO
Der Aufstand in einer Provinzstadt könnte zu einer landesweiten Protestwelle werden.

Wradijiwka ist ein Bezirksnest. Eine Kleinstadt. Ein Ort, der schon bessere Tage gesehen hat. Einer, wie es Tausende in der Ukraine gibt. Die Ortschaft in der Zentralukraine nahe der Trasse zwischen Kiew und Odessa befindet sich derzeit im Belagerungszustand. Sonderpolizei patrouilliert durch die Straßen. Medienberichten zufolge wurden alle Zufahrtsstraßen blockiert – als Reaktion darauf, dass die Bewohner der Stadt mit ihren 5000 bis 10.000 Einwohnern eine Polizeistation mit Steinen und Molotowcocktails angegriffen und abgefackelt haben. Die Polizei hatte ihrerseits Tränengas und scharfe Munition gegen die Angreifer eingesetzt.

Vergewaltigt

Es war ein reflexartige Wutreaktion der Bevölkerung auf das, was sich hier zuvor abgespielt hatte: Eine junge Frau war in einen Wagen gezerrt, in einen nahen Wald entführt und vergewaltigt worden. Sie überlebte schwer verletzt und identifizierte die Täter: zwei Polizisten sowie einen Zivilisten. Einer der Beteiligten, ein hoher Polizeioffizier, ist das Taufkind des regionalen Polizeichefs. Schnell hatten die Behörden eine Antwort: Der beschuldigte Polizist sei es nicht gewesen. Die Bürger der Stadt wollten das so nicht hinnehmen und den Polizisten, der mit Folter und Demütigungen regionale Berühmtheit erlangte, in Handschellen sehen. In Wradijiwka ist dabei eskaliert, was sich überall in der Ukraine findet: Ein grundlegendes Unvertrauen in den Staat.

Vasyl Zar kennt die ganz und gar nicht subtilen Winkelzüge der ukrainischen Behörden. Er war Arzt und sagt jetzt: „Das, was in Wradijiwka vor sich geht, ist der Anfang vom Ende Präsident Janukowitschs.“ Er selbst war vor zwei Jahren als Chef des Spitals der Kleinstadt Mezhgorie gekündigt worden, nachdem er sich bei den Parlamentswahlen 2012 in der westlichen Region Transkarpatien für die Opposition hatte aufstellen lassen. Die Region ist die einzige Hochburg der Partei der Regionen von Präsident Janukowitsch in der Westukraine – durch Wahlfälschung, wie Zar sagt.

Seine Kündigung hatte er beeinsprucht, vor Gericht mehrmals recht bekommen – aber seinen Job hat er trotzdem nicht wieder. Der Gerichtsentscheid war einfach ignoriert worden. Er selbst sagt, dass er von mit Elektroschockern und Knüppeln bewaffneten Schlägern bedroht wurde, als er an seinen Arbeitsplatz zurück und sich der Realität nicht beugen wollte. Und diese Realität, das sei der Wille des Gouverneurs. Einen „Banditen im Amtssessel“, nennt ihn Zar. Und die Polizei, die würde in Allianz mit Banditen Dienst für diese Leute versehen.

„Nicht überraschend“

Sergij Glebow, Politologe an der Universität Odessa, gibt ihm recht. Was in Wradijiwka passiert, ist laut Glebow nur dahingehend außergewöhnlich, dass die Menschen letztendlich tatsächlich gehandelt und ihre Wut nicht runtergeschluckt hätten. Den Anlassfall, die Vergewaltigung und die Handhabe derselben durch die Behörden, nennt er „nicht überraschend“. „Unser Rechtssystem ist in einem miserablen Zustand“, sagt er. „Legislative, Exekutive, Judikative – sie schützen nicht die Bürger, sie machen Business, die können tun, was sie wollen.“ Unruhen wie in Wradijiwka könnten daher jederzeit überall in der Ukraine ausbrechen. Und zusammen mit dem derzeit generell herrschenden Unmut hätte Wradijiwka durchaus das Potenzial, zum Anlass landesweiter Proteste zu werden. In Kiew kam es bereits zu solchen.

Entsprechend schnell nach den Krawallen meldete sich die Führung in Kiew: Janukowitsch versprach eine rasche Aufklärung und eine Bestrafung der Täter. Die Forderung der Bürger aber bleibt: Sie wollen den Polizisten in Handschellen sehen.

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