Ukraine: Ein Moralapostel als Kriegstreiber
Unter den Lauten im Lager der ukrainischen Patrioten ist er der Lauteste: Oleh Lyashko, Parlamentsabgeordneter, Chef der "Radikalen Partei", als solcher gescheiterter Präsidentschaftskandidat (8,7 Prozent) und sozusagen Milizenchef. Er ist das politische Gesicht des Azow-Bataillons der Nationalgarde, einer Einheit, die wegen Verbindungen zu Neonazi-Gruppen in der Kritik steht.
Dieser Tage kämpft die Einheit an vorderster Front in der Metropole Donezk. Dass man gerade sie zur Speerspitze gemacht hat, ist dabei äußerst umstritten. Denn gerade vor der Nationalgarde, die sich überwiegend aus Aktivisten der Maidan-Bewegung rekrutiert, fürchten sich viele Zivilisten in der Ostukraine. Das ist in den allermeisten Fällen das unbegründete Resultat massiver Propaganda, die alles aus Kiew Kommende dem Satan höchstpersönlich gleichstellt. Was das Azow-Bataillon und da ganz im Speziellen Oleh Lyashko angeht, so sind Vorbehalte aber begründet.
Jetzt beschuldigt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) Lyashko schwerer Menschenrechtsverstöße. Die Ironie daran: Lyashko hat sie selbst dokumentiert.
Er prahlt gerne mit seinen Männern. Das sind meist breitschultrige maskierte Herren in Kampfmontur mit rüdem Umgangston. Einen solchen pflegt auch Lyashko, wenn er mit seinen Leuten in Privathäuser eindringt, Separatisten festnimmt oder Jagd auf deren Verbündete macht.
Es ist eine Art sadistische Reality-Show, die er abzieht. Er hält vor laufender Kamera salbungsvolle Reden, mimt den Ordnungshüter und Menschenfreund, während im Hintergrund ein Unbewaffneter mit vorgehaltener Waffe zu Boden gedrückt und geschlagen wird. So bei der Festnahme des Bürgermeisters der Stadt Stachanow durch Lyashkos Leute. Dabei beschuldigt er den Politiker, am Referendum der Separatisten mitgewirkt zu haben. Am darauffolgenden Tag folgt ein Video, auf dem der Bürgermeister auf Knien um Verzeihung bittet.
Derartige Aktionen, oftmals begleitet durch Morddrohungen, sind zu einem Markenzeichen Lyashkos geworden. Und dabei offenbart sich die fatale Schwäche und Unorganisiertheit der Behörden. So nahmen reguläre ukrainische Soldaten im Mai nahe der Stadt Mariupol Igor Khakimzyanow fest, den damaligen "Verteidigungsminister" der Separatisten – mussten ihn aber aushändigen, da das Militär keine entsprechenden Befugnisse hat. Die lokale Polizei stand zu dieser Zeit auf der Seite der Separatisten. Und so tauchten noch am selben Tag zwei Videos auf: Im ersten sitzt Khakimzyanow in Unterhosen vor zwei maskierten Bewaffneten. Er ist unverletzt. Im zweiten trägt er einen Sack über den Kopf und sitzt auf dem Rücksitz eines Vans. Auf Kommando Lyashkos wird der Sack entfernt und eine Befragung in rüdem Ton beginnt. Auf diesem Video hat der Separatist zwei tiefe frische Schnittwunden.
Eskalation
AI spricht von einer sich rasant verschlechternden Lage der Menschenrechte in der Ostukraine. Die ukrainische Staatsanwaltschaft wird in dem Bericht aufgerufen, Lyashkos Aktionen zu untersuchen. Dabei sind seine sadistische Eskapaden leider nur ein Beispiel – und bekannt, weil Lyashko anscheinend gerne Videos mit sich selbst dreht. Bei den Separatisten etwa stehen Geiselnahmen, sexuelle Gewalt sowie haarsträubende Folter auf der Tagesordnung. Abgesehen vom anscheinend von beiden Seiten ausgehenden Beschuss von Wohnvierteln.
Angesichts des russischen Truppenaufmarsches entlang der Grenze aber wächst nun auch in Kiew die Sorge, dass öffentlich zur Schau gestellte Folter-Aktionen, wie jene Lyashkos, Moskau als Vorwand für eine Intervention dienen könnten.
Das Who is Who der Separatisten:
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