"Die Kapazitäten sind erschöpft"

Die Strukturen der Rot-Kreuz-Organisation haben sich in Teilen des Landes aufgelöst. Mit schwerwiegenden Folgen.
Der Präsident des ukrainischen Roten Kreuzes über die humanitäre Krise und Hürden bei der Bewältigung.

Der Krieg in der Ostukraine stellt humanitäre Organisationen, die in der Region aktiv sind, vor gewaltige Aufgaben. Teile des Landes sind wegen Kampfhandlungen, aber auch wegen bürokratischer Hürden kaum zugänglich und vom Zahlungsverkehr abgeschnitten. Mehr als eine Million Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht, etwa eine halbe Million außerhalb des Landes – während geschätzte fünf Millionen Menschen im Einflussbereich der pro-russischen Separatisten leben. Zugleich wächst der politische Druck in westeuropäischen Staaten auf große NGOs, vor allem im Krisengebiet in der Ostukraine tätig zu werden. Das aber ist nur zum Teil möglich. Andere Teile des krisengeschüttelten Landes mit seinen 45 Mio. Einwohnern würden vernachlässigt werden.

"Die Kapazitäten sind erschöpft"
Iwan Usichenko
Iwan Usichenko ist Präsident des ukrainischen Roten Kreuzes. In den vergangenen Jahren hatte die Organisation vor allem langfristige Projekte betreut und eher wenig mit Akuthilfe zu tun, da diese an sich in die Zuständigkeit des Katastrophenschutzministeriums fällt. Der KURIER traf Iwan Usichenko in Kiew zu einem Gespräch.

KURIER: Herr Usichenko, reichen die Kapazitäten Ihrer Organisation aus, um die derzeitige Lage zu bewältigen?

Iwan Usichenko: Unsere eigenen Kapazitäten als nationale Organisation sind erschöpft. Wir haben mit den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe zu kämpfen, humanitären Notlagen im ganzen Land. Bewältigen können wir die derzeitige Lage nur mit der Hilfe anderer nationaler Rotkreuz-Organisationen aus Westeuropa, den USA ... Das ist normal, mit einer solchen Situation wäre jedes Land überfordert. Auch Japan hat nach Fukushima um ausländische Hilfe angesucht. Die Türkei, Bulgarien, Belgien und auch die USA. Die Stärke des Roten Kreuzes liegt in der Gemeinsamkeit.

Sie kooperieren derzeit vor allem mit westeuropäischen Organisationen und den USA – wie ist es um die Beziehungen zum russischen Roten Kreuz bestellt?

Das russische Rote Kreuz hat uns erst jetzt 500.000 Rubel für Flüchtlingshilfe überwiesen. Aber wir haben einige Probleme in dieser Krise. Das russische Rote Kreuz hat offen Putin und dessen Vorgehen auf der Krim unterstützt. Das Rote Kreuz hat dazu kein Recht. Wir hatten vergangenen Juni in Minsk ein Treffen, seither sind die Beziehungen besser. Im März treffen wir uns wieder.

Russland hat ja eine ganze Reihe an Hilfskonvois in die Ostukraine geschickt, wo das Rote Kreuz nur in sehr beschränktem Maß tätig sein kann. Sind diese Aktionen in irgendeiner Art mit dem Roten Kreuz akkordiert? Sind sie hilfreich?

Das russische Rote Kreuz nimmt an diesen Aktionen nicht teil. Und es gab keine offizielle Anfrage an uns. Diese Konvois verstoßen gegen alle Regeln der humanitären Hilfe. Was etwa den ersten Konvoi angeht: Wir wissen nicht einmal, was da geladen war. Die sind einfach über die offene Grenze gefahren. Wir wissen nicht, ob das ein humanitärer Konvoi war oder einfach ein guter Schmuggel. Alle nationalen Organisationen des Roten Kreuzes halten sich an gewisse Regeln, nur die Russen nicht.

Angesichts der Krise: Ist es Ihnen derzeit möglich, langfristige Projekte aufrechtzuerhalten?

Alle Projekte laufen weiter: Hauskrankenpflege, HIV-Projekte, Tbc. Wir forcieren sie eher und versuchen, sie auf intern Vertriebene auszuweiten. Wir versuchen psychosoziale Dienste aufzubauen, die sich um Verwundete und Vertriebene kümmern. Wir bauen Erste-Hilfe-Teams auf in den Regionen.

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