Ukraine: Deal mit "schwachen Punkten"

Es toben schwere Kämpfe, auf dem Weg zum Frieden liegen noch viele Hürden.

Die Waffenruhe ist vereinbart – mehr aber nicht. Vor allem aus Donezk und der umstellten Stadt Debalzewe wurden am Freitag weiter schwere Kämpfe gemeldet. Befürchtungen werden laut, dass die von Russland gestützten Milizen in der Ostukraine noch vor Sonntag Debalzewe einnehmen wollen – und es erst gar nicht zur Einhaltung einer Waffenruhe kommt. Denn an sich macht die Offensive um die Stadt keinen Sinn. Im Abkommen von Minsk wird auf die Linie vom 19. September 2014 verwiesen, hinter die sich beide Seiten ab Sonntag zurückziehen müssten. Debalzewe liegt danach in ukrainischem Gebiet.

Laut dem Russland-Beauftragten der deutschen Regierung, Gernot Erler, könne die Bereitschaft zu einer Waffenruhe bis Sonntag schwinden. Auch Kiew relativiert Punkte des Minsk-Abkommens: Eine Amnestie könne laut Außenminister Pawel Klimkin nicht für alle Anführer der Separatisten gelten. Russland wieder will die in Moskau angeklagte Soldatin Nadja Sawtschenko nicht freilassen.

Alexander Baunow vom Carnegie Center Moskau sieht eine ganze Reihe an, wie er es nennt, "schwachen Punkten" im Minsker Abkommen, resultierend aus den konträren Positionen der Verhandler. Und: "Beide Seiten haben ein sehr unterschiedliches Verständnis des Wortes ,Frieden‘." In der Ukraine werde das Abkommen als "Niederlage" und "Verrat" Europas aufgenommen. Vor allem, weil kein Wort über die Krim verloren werde, während sich alle Beteiligten, und auch Putin, zur "territorialen Integrität der Ukraine" bekennen.

"Die Sprache des Textes", so Baunow, "legt Zeugnis davon ab, wie schwierig die Verhandlungen waren." Das resultiert in einer Wortwahl, die vielerlei Interpretationen zulässt. So ist von der Auflösung "illegaler bewaffneter Gruppen" die Rede. Aus Sicht Kiews seien das berechtigter Weise die Milizen der Neurussen, die die Separatisten aber als ihre Armee bezeichnen würden – aus Sicht Moskaus und der Neurussen seien damit die Einheiten der Nationalgarde, die dem Innenministerium unterstehen, gemeint, die sich aus Freiwilligen rekrutieren.

Fragezeichen Reformen

Und dann gibt es laut Baunow ganz einfach eine Reihe an Punkten, deren Umsetzung mehr als kritisch sei. So wurde vereinbart, dass Kiew die Kontrolle über derzeit verlorene Grenzabschnitte zu Russland wiedererhält, wenn politische Reformen umgesetzt werden. Der erste Schritt: Wahlen. Kein Wort werde verloren, wie diese Wahlen durchgeführt werden sollen, nachdem mindestens die Hälfte der Bevölkerung des Donbass geflohen sei. Zudem sei völlig undenkbar, dass etwa pro-ukrainische Parteien in den Gebieten der Separatisten Wahlkampf betreiben werden können. Das sei "einfach zu gefährlich" für sie. Den Abschluss der politischen Reformen soll eine Verfassungsänderung bilden, der aber das Parlament zustimmen müsse, so Baunow. Auch schmerzhafte ökonomische Schritte werden von Kiew gefordert. So müssen Sozialtransfers in die Region wieder aufgenommen werden – also Pensionen und Beamtengehälter. Das bereits nächste Woche. Baunow knapp dazu: "Etwas kompliziert."

Bei all diesen Ungereimtheiten völlig klar sei Moskaus Bestreben: Die Ukraine solle zu einem gescheiterten Staat werden. "Ein gescheiterter Staat kann nicht der EU oder der NATO beitreten", sagt Baunow. Als emotionale Komponente nennt er: "Rache." Und als ganz praktische: "Putin will die Föderalisierung, damit der Westen der Ukraine nicht die Modernisierung des Landes und der Gesellschaft vorantreibt." Also ein Vetorecht.

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