Ukraine: Barrikaden teilen das Land
Der Maidan, der Unabhängigkeitsplatz im Herzen Kiews, ist besetzt. Ein Fahnenmeer. Abgesperrt mit Barrikaden aus Teilen des Christbaums im Zentrum des Platzes, von dem nicht viel geblieben ist. Hinter diesen Barrikaden stehen Männer mit Bauhelmen und Gesichtsmasken. Mit 2004 hat all das nichts zu tun; mit der Orangen Revolution, deren Credo die Gewaltlosigkeit war. Hier ist Blut geflossen. Und die Burschen sind vorbereitet, dass noch mehr fließen könnte.
All das, während sich die Polizei kaum zeigt in den Straßen der ukrainischen Hauptstadt.
Koordination
Es wird gestritten, debattiert, es werden Reden gehalten, Durchhalteparolen ausgegeben. Und über all dem steht vor allem eine Frage: „Was jetzt?“
„Unser Ziel ist klar definiert“, sagt ein junger Mann auf dem Maidan, „wir wollen, dass Janukowitsch verschwindet“. Der ukrainische Präsident weilt derweil zum Staatsbesuch in China. Das, während sein Land in der größten Krise seiner Amtszeit steckt. Für die Tausenden auf dem Platz ist er längst nicht mehr Präsident – oder war es überhaupt nie.
„Wir wurden auf dem linken Fuß erwischt“, sagt Viktor, ein Mann um die 40. Mit einem gewaltsamen Einschreiten der Sicherheitskräfte hätte niemand gerechnet. „Jetzt ist der Platz besetzt. Und? Wir gehen von hier nach dort, mal zum Regierungssitz, dann wieder zum Parlament, es mangelt an Koordination.“
Pavlo Petrenko ist Abgeordneter der Batkivtschyna, der Partei der inhaftierten Oppositionellen Julia Timoschenko. Gegenüber Journalisten in Kiew forderte er am Mittwoch einen Generalstreik. Nur so könne die Regierung zu Fall gebracht werden. Und in einigen Betrieben, vor allem im Westen der Ukraine und auch um Kiew, werde bereits gestreikt.
Auch die Staatsmacht macht mobil. Vor dem Parlament haben die Anhänger Janukowitschs ein Camp errichtet. Auch hier stehen Barrikaden. Nur: Hinter diesen Barrikaden stehen nicht behelmte Aktivisten, sondern die Polizei. Ein Redner spricht von den protestierenden „Kindern“ auf dem Maidan und davon, dass die alle aus dem Westen angereist seien. Hier dominiert die Ostukraine.
Solidarität
Am Abend füllt sich der Maidan wie jeden Tag wieder mit Tausenden Menschen. Zu denen, die hier Tag und Nacht ausharren, gesellen sich dann jene, die tagsüber arbeiten und nur abends Zeit finden. Wenn diese dann nach Hause gehen, irgendwann nach Mitternacht, wird es still. Patriotische Lieder werden gesungen. An Feuern wärmen sich Menschen. Aus manchem Eck des Platzes tönt der Ruf „Ruhm der Ukraine“. Die Antwort darauf hallt aus einem anderen Eck: „Ruhm den Helden“ – ein patriotischer Gruß. Und an den Barrikaden wachen behelmte Aktivisten schweigend, ob nicht bereits Sonderpolizei auf dem Weg ist, um all dem ein Ende zu bereiten.
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat in Kiew den europäischen Kurs der ukrainischen Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko gewürdigt. "Wir sind als Europäer zu Europäern gekommen", sagte er am Mittwoch in der Hauptstadt der früheren Sowjetrepublik. Das Schicksal der Ukraine sei Europa nicht gleichgültig. "Das Angebot eines Assoziierungsabkommens steht auch weiter", sagte er.
"Wir wollen die Ukraine an Bord Europas", betonte der deutsche Außenminister. Klitschko sagte, die Opposition wolle die "europäischen Werte in der Ukraine verankern". "Das ist unser Schicksal", betonte der Chef der Partei Udar (Schlag). Die EU und die Ukraine sollten ursprünglich Ende November ein Partnerschaftsabkommen abschließen, doch legte Kiew dieses nach russischem Druck auf Eis.
Westerwelle begab sich nach dem Treffen mit Klitschko und dem Oppositionsführer Arseni Jazenjuk auf den Unabhängigkeitsplatz im Zentrum Kiews, wo seit Tagen tausende Ukrainer gegen die Staatsführung unter Präsident Viktor Janukowitsch und Regierungschef Mykola Asarow demonstrieren.
Schulz will Mission verlängern
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat sich dafür ausgesprochen, die hochrangige Ukraine-Mission der Volksvertretung zu verlängern. Dafür müsse es jedoch eine Vereinbarung mit der Regierung in Kiew und der Opposition geben, sagte der SPD-Europapolitiker am Mittwoch in Brüssel.
Seit eineinhalb Jahren vermitteln der frühere EU-Parlamentspräsident Pat Cox aus Irland und der polnische Ex-Staatschef Aleksander Kwasniewski im Auftrag des Parlaments in der Ukraine. Dabei geht es unter anderem darum, den Fall der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko zu lösen. "Sie braucht Hilfe", sagte Kwasniewski.
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