Ukraine: Auch der Westen bereitet sich vor
Die Schule Nummer 2 in einem Vorort von Ternopil. Es ist Abend. Mykola versammelt im Turnsaal der Schule seine Leute um sich. Sie kommen mit großen Rucksäcken, Karabinern am Gürtel und Kampfstiefeln. Einige haben ihre Waffen dabei. "Soldaten" nennt er sie. Auf seinem geschorenen Kopf trägt er einen Kosaken-Haarschopf. An sich ist er ein stiller Kerl mit einem leisen Schmunzeln auf den Lippen. Jetzt brüllt er in militärischem Ton, wirft eine Granate. Seine "Soldaten" werfen sich auf den Boden. Mykolas Assistent schießt mit einer Platzpatrone in die Luft. "Schütze dein Haus" nennt sich die Gruppe – militärisches Training für jedermann sozusagen. Turnunterricht in militärischer Kleidung mit Kalaschnikows.
Von Ternopil in den Donbass sind es rund 1000 Kilometer. Aber der Krieg ist auch hier angekommen, in Galizien in der Westukraine. "Wir wollen vorbereitet sein", sagt Yaroslaw, ein lokaler Unternehmer, der die Gruppe unterstützt. Die Gruppe finanziert sich selbst und durch lokale Spender wie Yaroslaw. Unterstützt wird sie durch ein Netzwerk von Aktivisten. Geld vom Staat gibt es nicht. "Wir haben zwei Feinde", sagt Mykola, der im Brotberuf japanische Kampfsportarten und fernöstliche Malkunst unterrichtet: "Putin und die Werchowna Rada", das Parlament in Kiew. Er betont Putin – nicht Russen an sich. Die könnten nichts für ihren Präsidenten. Letztlich ist er selbst halb Russe. Geboren wurde er in Russland, sein Vater ist Russe. Und die Rada? Weil sie nichts tue und die Abgeordneten nur an sich selbst denken würden. "Kriminelle" seien das.
Krieg erfasst die ganze Gesellschaft
"Nehmen die Dinge in die Hand"
"Wir nehmen die Dinge in die eigene Hand", sagt ein junger Mann, einer von Mykolas Schützlingen, ein Softwareunternehmer. Auf die Regierung, so meint er, könne man nicht vertrauen. 23 Jahre ist der ukrainische Staat alt. 23 Jahre, zwei Revolutionen, ein Krieg – an Korruption und Nepotismus hat das wenig geändert. Die Folge, wie es ein schmächtiger junger Mann in Mykolas Trainingsgruppe auf den Punkt bringt: "Ich hasse Politik, ich liebe mein Land – und ich werde meine Freunde, meine Familie, meine Stadt verteidigen, wenn es sein muss. Vor wem auch immer. Ob vor Kriminellen oder vor grünen Männchen – ich will vorbereitet sein." Mykola betont dabei: "Es ist nicht so, dass wir kämpfen wollen – aber wir werden, wenn wir müssen."
Was Mykola tut, ist nichts anderes, als seine Leute auf einen Krieg vorzubereiten, der in seiner und ihrer Sicht jederzeit ausbrechen könnte hier. "In zwei Tagen könnte die russische Armee in Ternopil sein", sagt er. Russische Einheiten stünden in Weißrussland bereit, um aus dem Norden anzugreifen. Er ist überzeugt, dass das keine theoretische Möglichkeit ist, sondern eine reale Gefahr. Die ukrainische Armee sei im Osten konzentriert, der Westen ungeschützt.
Das Training ist nach zweieinhalb Stunden vorbei. Die Teilnehmer stellen sich in einem Kreis auf, legen einander die Arme auf die Schultern, stecken die Köpfe zusammen. Auch ein Mann in Militärkleidung, der die vergangenen Stunden nur still zugesehen hat, gesellt sich dazu. Er war im Osten. Hat gekämpft. Es gibt Nachrichten von der Front. Mykola hat seinen militärischen Tonfall abgelegt, er spricht leise: Es gab Tote heute bei einem Angriff auf einen Checkpoint. Viele Tote. Schweigen.
Schweigen. Dann brüllt Mykola in den Kreis: "Es lebe die Ukraine." Und wie aus einem Mund die Antwort: "Die Helden leben."
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