Übersehene Katastrophe: UNO-Konferenz will Artensterben bremsen

UNAM opens its Biodiversity Pavilion with the support of the Slim Foundation
Bestände wildlebender Arten sind seit 1970 im Schnitt um 69 Prozent eingebrochen. Ein neuer Pakt soll 30 Prozent aller Meeres- und Landesgebiete unter Schutz stellen. Auch in Österreich ist das Artensterben verheerend.

Nach der UN-Klimakonferenz COP27, die vor knapp zwei Wochen am 20. November in Ägypten ihr eher enttäuschendes Ende gefunden hat, trifft die Weltgemeinschaft kommende Woche in Kanada erneut aufeinander. In Montreal geht es ab Mittwoch um den Erhalt der biologischen Vielfalt. Die Erwartungshaltung an die UN-Artenschutzkonferenz ist hoch: Ein globaler Pakt für die Artenvielfalt sollte das Ergebnis sein.

Wie schlimm steht es um Habitate und Arten? Die Weltnaturschutzunion IUCN konstatiert den Tier- und Pflanzenarten im Rahmen der Internationalen Roten Liste Schlimmes: Von den insgesamt 147.500 erfassten Arten finden sich fast 41.500 in Bedrohungskategorien. Und damit mehr Arten als jemals zuvor. Das Artensterben gilt neben der Klimakrise als die größte Bedrohung für unseren Planeten und unser eigenes Leben.

Das heißt nichts weniger, als dass wir uns längst im größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurierzeit vor 65 Millionen Jahren befinden. Die Wissenschaft nennt das längst das "sechste große Massenaussterben", und es passiert nach Ansicht vieler Expertinnen und Experten derzeit vor unseren Augen. Im Mai 2019 veröffentlichte der Weltbiodiversitätsrat IPBES seinen globalen Bericht, dem zufolge eine Millionen Arten innerhalb der nächsten Jahrzehnte akut bedroht sind:

Ein Viertel der Säugetierarten, jede achte Vogelart, mehr als 30 Prozent der Haie und Rochen sowie 40 Prozent der Amphibienarten sind bedroht.

Österreich kein Umweltmusterland

In Österreich ist zirka die Hälfte der vorkommenden rund 500 Biotoptypen von vollständiger Vernichtung bedroht, stark gefährdet oder gefährdet, heißt es vonseiten des Umweltbundesamtes. Demnach ist das Gesamtbild, das sich aus den Roten Listen gefährdeter Pflanzen ergibt, besorgniserregend: Bei der am besten erforschten Pflanzengruppe, den Farn- und Blütenpflanzen, scheinen über 60% der Arten in den Roten Listen auf. Auch bei Moosen und Flechten zeichnet sich ein ähnliches Bild ab.

Bei den Pflanzen wurde 2022 die dritte, völlig neu bearbeitete Auflage der  "Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen Österreichs" veröffentlicht. Die aktualisierte Liste zeigt auf, dass der Artenrückgang bei den Farn- und Blütenpflanzen unvermindert fortschreitet. 1.274 Farn- und Blütenpflanzen stehen auf der neuen "Roten Liste" Österreichs. 66 Arten sind heute österreichweit ausgestorben bzw. verschollen, 235 Arten sind vom Aussterben bedroht, dazu kommen weitere 973 Arten, die in geringerem oder selten auch unbekanntem Ausmaß gefährdet sind.

Zudem sind in Österreich mehr als die Hälfte aller Amphibien und Reptilien stark gefährdet sowie knapp die Hälfte aller Fische und ein Drittel aller Vögel und Säugetiere.

Welt-Umweltkonferenz

„Ein ähnliches Abkommen wie Paris soll die Artenschutzkonferenz bringen“, sagte Karim Ben Romdhane, Experte für internationalen Artenschutz des WWF Österreich. Die Verhandlungen dafür liefen seit 2018, das ist das Jahr an dem die CBD COP 14 im Sharm el-Sheikh abgehalten wurde, also dem Austragungsort der diesjährigen Weltklimakonferenz COP27. Die Abkürzung CBD steht dabei für „Convention on Biological Diversity“, Deutsch Konvention über die biologische Vielfalt bzw. Biodiversität.

Der Grund, weshalb die Nachfolge-Konferenz in diesem Jahr derart im Rampenlicht steht, ergibt sich aus der Forderung nach einem Abkommen nach Vorbild des Pariser Klimavertrags, der 2015 beschlossen worden ist. Während das Abkommen von Paris als Nachfolge des Kyoto-Protokolls notwendig war, das im Jahr 2020 ausgelaufen war, soll Montreal nun ein Folgeabkommen für das bei der UN-Artenschutzkonferenz in Japan im Jahr 2010 beschlossene Nagoya-Protokolls erbringen. Dieses wurde damals von vielen Umwelt-NGOs als „historischen Ergebnis“ begrüßt.

„Um diesen Trend umzukehren, brauchen wir ein ambitioniertes Abkommen für die Artenvielfalt, so wie es das Pariser Abkommen für den Klimaschutz ist. Ein globaler Naturschutz-Pakt mit verbindlichen, messbaren Zielen bis 2030“, forderte daher der WWF-Experte. Eine der Hauptforderungen für die CBD COP 15 ist etwa, dass bis 2030 mindestens 30 Prozent der Fläche an Land und im Meer unter Schutz gestellt werden sollen - auch der WWF unterstützt dieses Anliegen.

Julia Balasch vom WWF-Jugendnetzwerk Generation Earth betonte, dass Klima- und Artenschutzkrise miteinander verknüpft seien, diese „Zwillingskrisen“ könnte man nicht für sich alleine lösen. Im vergangenen Jahrzehnt habe die Natur 54 Prozent der menschengemachten Treibhausgase aufgenommen, verwies Balasch zudem auf eine weitere Studie des WWF.

Arno Aschauer, Leiter Arten und Lebensräume beim WWF, verwies abschließend auf die Rolle Österreichs, dem „EU-Nachzügler im Naturschutz“, der laut einer Einschätzung der EU-Umweltagentur bei der Artenvielfalt im EU-Vergleich nur den vorletzten Platz einnehme. Auch mit dem Anteil von 15 Prozent der Landesfläche an Natura 2000 Schutzgebieten liegt Österreich auch hier deutlich unter dem EU-Schnitt (19 Prozent). „Das Management der Schutzgebiete ist mangelhaft, weshalb gerade wieder ein Vertragsverletzungsverfahren der EU läuft“, warnte Aschauer zudem.

Die 15. UN-Artenschutzkonferenz findet nach mehrmaliger Verschiebung unter der Präsidentschaft Chinas statt. Sie beruht auf dem Weltnaturkonferenz beruht auf dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) von 1992 mit aktuell 196 Vertragsparteien. Ziel ist es, bis 2050 eine Welt zu schaffen, die „im Einklang mit der Natur lebt“, über 10.000 Menschen werden zur COP15 erwartet, so der WWF abschließend.

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