Macht die Schweiz dicht?
Ecopop ist eine Umweltorganisation. Doch der Schweizer Verein hat mit anderen Gruppierungen dieser Art nur das Ziel gemeinsam, die Umwelt als "natürliche Lebensgrundlage" zu retten. Denn Ecopop will das nicht durch die Schonung von Ressourcen oder Artenschutz erreichen, sondern – im Fall der Schweiz – durch massive Zuwanderungsbeschränkungen und international durch die Finanzierung von Verhütungsmaßnahmen in Entwicklungsländern durch die Regierung in Bern.
Stimmt eine Mehrheit der Vorlage zu, muss die Regierung sie umsetzen. Laut Umfragen befürworten 39 Prozent der Wähler die Initiative. "Das Thema brennt den Leuten unter den Nägeln", erklärt Ecopop-Geschäftsführer Andreas Thommen gegenüber dem KURIER den auch für ihn überraschenden Zuspruch. "Die Menschen spüren die Auswirkungen des Bevölkerungswachstums täglich."
"Sehr große Zielgruppe"
Viele der 8,2 Millionen Einwohner sind tatsächlich beunruhigt, haben Angst vor Identitätsverlust, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Teuerung. Grund ist der Ausländeranteil von 24 Prozent, wobei 85 Prozent dieser Menschen aus Europa, davon zwei Drittel aus der EU stammen (In Österreich leben 12,5 Prozent Ausländer, die Hälfte sind EU-Bürger).
"Ecopop spricht mit der Vermischung von rechtskonservativen und ökologischen Argumenten eine sehr große Zielgruppe an", analysierte der Schweizer Uni-Professor Markus Huppenbauer jüngst. Die Menschen hätten das Gefühl, ihre Heimat stünde auf dem Spiel. Das zeigte sich bereits im Februar, als 50,3 Prozent der Wähler für Zuwanderungskontingente stimmten. Da auch vor diesem Votum eine Ablehnung prognostiziert worden war, die dann aber nicht eintrat, haben nun bei Ecopop alle Parteien mobil gemacht, sogar die rechtspopulistische SVP. Die Befürchtung: Eine derart drastische Zuwanderungsbeschränkung gefährde die Wirtschaft – Stichwort: Fachkräftemangel. Zudem würden Verträge mit der EU gebrochen, das Rentensystem sei gefährdet.
Ecopop spricht von Panikmache. Der Zuzug werde auch künftig für Fachkräfte, Asylwesen und Familiennachzug reichen. Auch bei der zweiten Forderung – 10 Prozent der Schweizer Entwicklungshilfegelder für Familienplanung – werde viel falsch interpretiert. "Wir setzen uns nur für das UN-Menschenrecht auf freiwillige Familienplanung ein", so Thommen. Vorwürfe, Ecopop sei rassistisch, seien absurd. "Das wäre nur der Fall, wenn wir sagen, wir wollen mehr Schweizer Kinder. Wir finden die niedrige Geburtenrate hier aber gut."
Steuerzuckerl für reiche Ausländer
Auch die zweite Abstimmung am Sonntag richtet sich gegen Ausländer, und zwar gegen Reiche, die sich durch einen Wohnsitz in der Schweiz und eine niedrige Steuerpauschale auf ihre Wohnkosten viel Geld ersparen. Rund 40 Prozent der Schweizer sind dafür, dass diese Vorteile für Ausländer wie Yoko Ono oder Bernie Ecclestone abgeschafft werden. Um Reichtum dreht sich auch die Volksinitiative "Rettet unser Schweizer Gold", für die 40 Prozent stimmen dürften. Die Forderungen: Um für künftige Krisen gerüstet zu sein, soll die Schweizer Nationalbank (SNB) mindestens 20 Prozent ihrer Aktiva in Gold halten (derzeit sind es sieben Prozent, was dem höchsten Pro-Kopf-Wert weltweit entspricht). Das Gold müsse unverkäuflich sein und in der Schweiz gelagert werden. Zudem müsse die SNB sämtliche Goldvorräte aus dem Ausland zurückholen. Endet die Abstimmung mit einem "Ja", muss die SNB bis 2020 1800 Tonnen Gold kaufen – das entspricht 67 Prozent der jährlichen weltweiten Förderung. Experten warnen: Die SNB könnte in Krisen nicht mehr flexibel agieren; ein "Ja" hätte zudem unkalkulierbare Auswirkungen auf Frankenkurs und Goldpreis.
Direkte Demokratie in der Schweiz
Volksinitiativen und Referenden Bei Volksinitiativen wie oben beschrieben wird über die Aufnahme einer von Bürgern oder Parteien vorgelegten neuen Bestimmung in Verfassung oder Gesetz entschieden, bei Referenden über von der Regierung vorgelegte Gesetze. Seit der Gründung der Schweiz 1848 gab es 586 Referenden und Initiativen. Die Bandbreite bei letzteren reichte vom „Verbot der Freimaurerei“ (abgelehnt 1937) über ein Bauverbot für Minarette (angenommen 2009) bis zu „Sechs Wochen Ferien für alle“ (abgelehnt 2012).
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