"Tunesien soll Demokratie-Vorreiter sein"

"Tunesien soll Demokratie-Vorreiter sein"
Außenminister Spindelegger hat den neuen Präsidenten Mocef Marzouki in Tunis besucht.

Tunesien ist fast eineinhalb Jahre, nachdem der Arabische Frühling hier seine ersten Wurzeln trieb, ein Land voller Widersprüche: Es ist kein weiter Weg von den staubigen Straßen der Innenstadt von Tunis in das herrschaftliche Karthago, wo der neue Präsident Moncef Marzouki amtiert.

Im ehemaligen Palast von Zine el-Abidine Ben Ali, der aus dem Amt gefegt wurde, ist die Verschwendungssucht noch sichtbar, der Prunk allgegenwärtig. Nun aber wird er "Palast des Volkes" genannt. Der linke Menschenrechtler Marzouki nahm den Platz Ben Alis ein, unter dessen Herrschaft er selbst im Gefängnis saß.

Dieser Tage geben sich EU-Vertreter bei ihm die Klinke in die Hand: Während Außenminister Michael Spindelegger dem Präsidenten am Mittwoch einen Höflichkeitsbesuch abstattet, wird bereits der rote Teppich für Italiens Präsident Napolitano ausgerollt. Es ist ein Herantasten an die neue Regierung. Europa weiß noch nicht, in welche Richtung sich Tunesien entwickeln wird.

"Weltbeste Verfassung"

Präsident Marzouki betont gegenüber dem Gast: "Ich verspreche die weltbeste Verfassung, was Menschenrechte betrifft." Und: "Investieren in Tunesien ist investieren in die Demokratie." Spindeleggers Antwort: "Tunesien war Vorreiter im Arabischen Frühling. Jetzt soll es Vorreiter bei der Demokratie sein."

Präsident Marzouki ist zwar Aushängeschild des Landes, die stärkste Partei aber ist die gemäßigt islamistische Ennahda, die auch den Premier stellt. Groß war die Enttäuschung bei europäischen Unterstützern der "Arabellion", als die Islamisten bei den Wahlen siegten.

Auch Spindelegger zeigt sich skeptisch über die unmittelbare Zukunft des Landes: "Der äußere Rahmen ist stabil, auch die Zusammenarbeit mit der EU macht beste Fortschritte. Die Details muss man sich aber ansehen. Tunesien muss auch liefern." Sicher ist, dass vor allem die EU ihre Hilfen an Fortschritte bei Grund- und Menschenrechten knüpft. Und Ausreißer wie die jüngste Besetzung eines TV-Senders durch Islamisten werden genauestens beobachtet.

Nun heißt es für die Ennahda, die Europäer zu beruhigen, denn Tunesien braucht dringend Investitionen und vor allem die Touristen. Die Nächtigungszahlen im Revolutionsjahr sind eingebrochen, allein aus Österreich kamen um 44 Prozent weniger Urlauber. Der Entschluss der Islamisten, auf die Scharia in der neuen Verfassung zu verzichten, ist ein Zugeständnis an Europa. Ob es dabei auch bleibt, muss sich erst zeigen.

Allgemein wird erwartet, dass sich islamisches Recht in Zukunft weit stärker ins Alltagsleben mischen wird. Das lässt sich bereits jetzt feststellen, wenn die bisher verbotenen Gesichtsschleier das Straßenbild nun mitprägen.

Dass die islamistischen Tendenzen die demokratische Revolution zum Erliegen bringen, glaubt Österreichs Botschafter Johann Fröhlich aber nicht. Mit der neuen Verfassung und den Wahlen nächstes Jahr werde die Aufbruchsstimmung der ermüdeten Revolutionäre wieder einen Schub bekommen: "Die Rahmenbedingungen für einen echten demokratischen Prozess sind in Tunesien weit besser als anderswo." Die Meinungsfreiheit werde nun geradezu zelebriert, niemand müsse nun befürchten, für Kritik ins Gefängnis zu kommen.

Ob man aber Touristen raten kann, Tunesien wieder zu besuchen, traut sich niemand hundertprozentig zu sagen; alles sei noch zu sehr im Wandel.

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