Weihnachten ja, aber ohne Punsch
"Die Türkei verbietet Weihnachten", lautete eine Schlagzeile, die seit dem Wochenende die deutschen Medien bewegt. Hintergrund dafür war eine eMail der Leitung der deutschen Abteilung des Gymnasiums "Istanbul Lisesi" an die deutschen Lehrer, in der es hieß, "dass ab sofort nichts mehr über Weihnachtsbräuche und über das christliche Fest im Unterricht mitgeteilt, erarbeitet sowie gesungen wird". Diese Mail ging auf ein Schreiben der türkischen Schulleitung zurück, die eine Erklärung dafür gefordert hatte, dass "intensiv Geschichten über Weihnachten und das Christentum" im Unterricht behandelt würden, zugleich aber Fragen von Schülern "zu Vokabeln der türkisch-islamischen Zivilisation" von deutschen Lehrern nicht beantwortet werden können.
Entwarnung
Gestern gab es dann "Entwarnung" für die traditionsreiche Schule, die eine lange Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik unterhält, in der Deutsch in vielen Fächern Unterrichtssprache ist und in der man seit 1992 auch das Abitur machen kann: "Nach gemeinsamer Sitzung zwischen der türkischen Schulleitung und der Leitung der Deutschen Abteilung kann ich Ihnen mitteilen, dass kein Verbot, ,Weihnachten‘ im Unterricht zu besprechen, vorliegt", hieß es am Montag in einer eMail der deutschen Abteilungsleitung an die Lehrer.
Basteln, backen und Lieder singen sind im Schulalltag, auch in diesem "Lisesi", traditionell eine willkommene Abwechslung zu Mathe und gleichzeitig eine kulturelle Bereicherung. Dass man das aber auch ganz anders sehen kann, beweist Mustafa Sentop. Der Vizeparteichef der Regierungspartei AKP hatte vor besagter "Entwarnung" am Montag noch nachgelegt: "Hier ist die Türkei. Es kann nicht gestattet werden, dass an einer staatlichen Schule die Kinder dieses Landes der religiösen und politischen Propaganda des deutschen Staats ausgesetzt werden", wird er zitiert.
Wenig Toleranz
Aus diesen Worten wird deutlich, dass die "Causa Weihnachten" zwei Dimensionen birgt: Zum einen die Konflikte mit der EU und Deutschland, zum anderen die Haltung des türkischen Staates bezüglich aller Konfessionen abseits des sunnitischen Islam. Denn die Toleranz gegenüber ethnischen oder religiösen Minderheiten, derer sich die Türkei gerne rühmt, ist eher ein Lippenbekenntnis und findet nur in einem sehr engen Rahmen statt.
Genauer gesagt, nur so lange Christen, Juden oder auch Aleviten unsichtbar und unhörbar bleiben, können sie hinter verschlossenen Türen ihrer Religion nachkommen oder ihre Sprachen sprechen. Es ist kein Zufall, dass alle christlichen Gotteshäuser und Synagogen hinter hohen Mauern verborgen sind und Gottesdienste von Sicherheitskräften bewacht stattfinden. Türkische Kinder dürfen die Schulen der Griechen oder Armenier nicht besuchen.
Seit einigen Jahren sind es allerdings nicht die Minderheiten, sondern die Globalisierung, die Weihnachtszauber in die Türkei bringt. Neben dem Christbaum ist vor allem der Nikolaus als Dekoration beliebt – immerhin stammt dieser ja aus der heutigen Türkei. An dieser relativ neuen Sitte nehmen viele Muslime jedoch Anstoß, regelmäßig kommt es zu Demonstrationen gegen den Weihnachtsmann und bunt geschmückte Bäume.
Österreich gelassen
In der Österreichischen Schule (St. Georgs-Kolleg) und Gemeinde geht man damit gelassen um. Nicht zuletzt, weil die türkischen Behörden hier sehr viel weniger Einfluss auf den Schulalltag haben als am "Istanbul Lisesi". Im Weihnachtsalltag gab es hier keine Störungen, heißt es auf Nachfrage.
Auch der Weihnachtsbasar an der Deutschen Schule Istanbul, der jedes Jahr Tausende Besucher anzieht, fand reibungslos statt. Allerdings mit Zugeständnis: Seit einigen Jahren gibt es auf Druck der türkischen Behörden, keinen Punsch und Glühwein mehr auszuschenken.
"Gehört Weihnachten für Frau Merkel zu Deutschland?" Die Frage eines Journalisten bei der Bundespressekonferenz hätte boshafter nicht sein können: Dass in einer deutschen Schule in Istanbul kurzfristig Weihnachtsbräuche vom Lehrplan gestrichen wurden (siehe oben), sorgte zwar in allen deutschen Parteien für Irritationen – nur bei der Bundesregierung nicht. Man habe bereits alles getan, um das Missverständnis auszuräumen, hieß es am Montag lapidar aus dem Kanzleramt – überhaupt sei der Fall singulär und stehe nicht in Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Abkommen oder der Türkei-Politik der Regierung.
So ganz stimmt das freilich nicht. Der Streit um Weihnachten, den CDU-Vize Julia Klöckner als "Denkverbot" bezeichnete und den Grünen-Chef Cem Özdemir "nicht akzeptabel" nannte, ist nur die letzte Spitze, die die Berliner Regierung aus Ankara zu spüren bekommt. Seit der Affäre Böhmermann und der Armenien-Resolution des Bundestages ist die Beziehung angeknackst. Das hat selbst die Istanbuler Schule, an der 35 von Deutschland finanzierte Lehrer unterrichten, schon länger gespürt, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Der deutsche Generalkonsul, über den die Kooperation mit der Schule läuft , sei heuer gebeten worden, auf seine traditionelle Ansprache an die Schulabgänger zu verzichten. Der Grund: die Armenien-Resolution.
Dass mit der Beilegung des Streits – Montagmittag wurde verkündet, dass "kein Verbot" mehr vorliege –, auch die grundlegenden Differenzen ausgeräumt sind, ist aber eher unwahrscheinlich. Kurz danach gossen türkische AKP-Abgeordnete nämlich neues Öl ins Feuer. Mustafa Sentop etwa unterstellte den deutschen Lehrern "Missionierung"; sein Kollege Mustafa Yeneroglu fragte sich, wie empört denn die Deutschen wären, wenn in Bayern ein aus der Türkei entsandter Lehrer christlichen Schülern Ramadan-Lieder beibringen würde.
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