Türkei-Wahl: Erdoğan muss um Mehrheiten zittern

Türkei-Wahl: Erdoğan muss um Mehrheiten zittern
Präsident kommt laut Umfrage nur auf 47 Prozent, Opposition könnte ihn damit in Stichwahl zwingen.

In der Türkei könnte sich eine politische Sensation anbahnen. Gut eine Woche vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sagt eine neue Umfrage eine doppelte Niederlage für Präsident Recep Tayyip Erdoğan voraus. Demnach könnte Erdoğan trotz seiner nach wie vor großen Popularität bei konservativen Wählern einen Sieg in der ersten Runde der Präsidentenwahl am 24. Juni verpassen. In diesem Fall wäre eine Stichwahl am 8. Juli nötig – eine Schlappe für Erdoğan im ersten Wahlgang wäre eine Demütigung für den 64-jährigen Staatschef, der die Türkei sei anderthalb Jahrzehnten regiert. Bei der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl könnte Erdoğans Regierungspartei AKP zudem ihre Mehrheit in der Volksvertretung verlieren.

Die Befragung von fast 3000 Wählern in mehreren Landesteilen durch das angesehene Demoskopie-Institut Gezici reiht sich in eine Serie ähnlicher Umfrage-Resultate ein. Institutschef Murat Gezici beobachtet nach eigenen Angaben bereits seit Wochen, dass sich frühere Erdoğan-Wähler vom Präsidenten abwenden. Dabei spielen wirtschaftliche Probleme wie steigende Inflation und wachsende Arbeitslosigkeit eine wichtige Rolle, sagte Gezici dieser Zeitung in Istanbul. Bemerkenswert ist bei der neuen Gezici-Studie vom Freitag, dass sich bei ihr ein fortschreitender Ansehensverlust von Erdoğan andeutet.

Minus 1,6 Prozentpunkte

Innerhalb einer Woche ging die Unterstützung für den Präsidenten demnach um 1,6 Prozentpunkte auf 47,1 Prozent zurück; für einen Erfolg in der ersten Runde der Wahl braucht Erdoğan mehr als 50 Prozent der Stimmen. Sein stärkster Herausforderer, Muharrem Ince von der säkularen Partei CHP, legte unterdessen um zwei Prozentpunkte auf knapp 28 Prozent zu. In einer zweiten Rund könnte Ince auf die Unterstützung von Oppositionswählern von außerhalb der CHP-Anhängerschaft zählen, während Erdoğans Potenzial ausgeschöpft erscheint.

Der Staatschef will die Doppelwahl zur Einführung eines Präsidialsystems mit weitreichenden Vollmachten für sich selbst nutzen. Entscheidende Bedeutung könnte den Wählern der Kurdenpartei HDP zukommen, die laut Umfragen im Fall einer Stichwahl mehrheitlich zu Ince tendieren.

AKP-Mehrheit fraglich

Auch bei der Parlamentswahl spielt die HDP eine Schlüsselrolle: Gelingt ihr der Wiedereinzug in die Kammer mit mehr als zehn Prozent der Stimmen, bedeutet dies voraussichtlich das Ende der AKP-Parlamentsmehrheit. In der Gezici-Umfrage liegt das Bündnis aus der AKP und der nationalistischen Partei MHP bei knapp 49 Prozent, die HDP bei 11,5 Prozent.

In einer internen AKP-Beratung soll Erdoğan seine Partei aufgerufen haben, möglichst viel Druck auf die HDP zu machen, um die Kurdenpartei aus dem Parlament zu halten. HDP-Politiker und andere Erdoğan-Kritiker befürchten, die Regierung könnte die Wahlen manipulieren.

Angst vor Manipulationen

Erdoğan gab diesem Verdacht einen zusätzlichen Auftrieb, indem er den AKP-Mitgliedern einschärfte, die „Kontrolle“ über Wahllokale zu übernehmen. Schon beim Referendum über das Präsidialsystem im vergangenen Jahr, das Erdoğan mit knapper Mehrheit (51,4 Prozent) gewann, wurden Manipulationsvorwürfe laut. Auch die OSZE protestierte damals. Ince ruft seine Wähler deshalb fast täglich dazu auf, am Wahltag in den Wahllokalen präsent zu sein, um die Stimmauszählung kontrollieren zu können.

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