Türkei sieht EU-Flüchtlingsabkommen auf der Kippe

Türkei sieht EU-Flüchtlingsabkommen auf der Kippe
Die Türkei will das Flüchtlingsabkommen mit der EU ohne einen Durchbruch bei der Visafreiheit ihrer Bürger platzen lassen.

Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte am Montag, es gebe klare Verträge, dass im Oktober für alle Türken Visafreiheit gelte. Mit Blick auf den Flüchtlingsdeal drohte er: "Entweder wenden wir alle Verträge gleichzeitig an oder wir legen sie alle zur Seite." Der EU warf Cavusoglu nach dem gescheiterten Putschversuch vor einem Monat "Türkei-Feindlichkeit" vor. Bei Durchsuchungen von drei Gerichten in Istanbul wurden unterdessen erneut mutmaßliche Anhänger des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen festgenommen, den die Regierung für den Umsturzversuch verantwortlich macht.

Cavusoglu äußerte sich in der "Bild-Zeitung" tief frustriert über die Beziehungen zur EU. Die Türkei habe sich wie kaum ein anderes Land angestrengt, alle Bedingungen für einen EU-Beitritt zu erfüllen: "Aber das, was wir jetzt von Teilen der EU erleben, sind ausschließlich Drohungen, Beleidigungen und eine totale Blockade." So werde kritisiert, dass die Türkei die im Flüchtlingsabkommen festgelegte EU-Unterstützung von drei Milliarden Euro einfordere. Dabei sei das Geld nicht für die Türkei, sondern für die Flüchtlinge bestimmt. "Aber von der EU hören wir nur: Wir sind die Chefs und so wird es gemacht.

Putschversuch mit 240 Toten

Nach Lesart der türkischen Regierung ist die Visafreiheit eine Gegenleistung für das Abkommen, mit dem die Migration vor allem aus Syrien und dem Irak nach Europa über die Balkan-Route verringert wurde. Die EU argumentiert dagegen, die Türkei habe noch nicht alle der über 70 Kriterien erfüllt, die Voraussetzung für die Visafreiheit ihrer Bürger in der EU sind. Dabei geht es insbesondere um eine Änderung der Anti-Terrorgesetze in dem Land, die nach Einschätzung der Europäer auch als Mittel gegen politische Kritiker genutzt werden können. Seit dem Putschversuch mit 240 Toten wird in der Türkei zudem über die Wiedereinführung der Todesstrafe debattiert - für die EU würde das voraussichtlich das Ende der Gespräche über einen EU-Beitritt bedeuten. Cavusoglu sagte, er sei persönlich gegen die Todesstrafe, aber es gebe derzeit eine große Emotionalität, die man nicht ignorieren könne: "Das türkische Volk ist traumatisiert." Das würden die Europäer nicht verstehen: "Sie demütigen uns, statt der Türkei zu helfen." Einen Austritt aus der NATO lehnte Cavusoglu ab, sein Land werde aber bei Waffenkäufen auch mit anderen Partnern kooperieren. Seit dem Putschversuch hat die Regierung in Ankara rund 35.000 Menschen verhaftet, rund 17.000 wurden eingesperrt, Zehntausende weitere entlassen. Die Nachrichtenagentur Dogan berichtete, in Istanbul seien drei Gerichte durchsucht worden, dabei habe es Festnahmen gegeben. Gegen 173 Angestellte lägen Haftbefehle vor. Die Aktionen fanden im Justizpalast sowie zwei weiteren Gerichten im europäischen Teil der Metropole statt.

Chefredakteur legt Posten zurück

In türkischen Regierungskreisen hieß es zudem, ein gesuchter Staatsanwalt sei Sonntagabend bei dem Versuch festgenommen worden, die Grenze nach Syrien zu überqueren. Grenzschützer hätten ihn in der Provinz Kilis gefasst. Er habe vermutlich im syrischen Kurdengebiet Unterschlupf finden wollen. Nach Darstellung türkischer Sicherheitskräfte hatten die Putschisten Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Der in der Türkei wegen Geheimnisverrats verurteilte Journalist Can Dündar legt seinen Posten als Chefredakteur der oppositionellen türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet" nieder. In einer am Montag veröffentlichen Kolumne kündigte Dündar zudem an, er werde sich nach seiner Verurteilung zu knapp sechs Jahren Haft vorerst nicht der türkischen Justiz stellen. Aufgrund des nach dem gescheiterten Putschversuch verhängten Ausnahmezustands herrsche in seinem Heimatland "Gesetzlosigkeit", schrieb Dündar, der in Deutschland vermutet wird. Bei einem Autobomben-Anschlag in der südosttürkischen Provinz Diyarbakir wurden am Montag zwei Polizisten und Kind getötet. Die Bombe sei vor dem Gebäude der Verkehrspolizei im Bezirk Bismil gezündet worden, berichtete die Nachrichtenagentur DHA am Montag und machte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verantwortlich.

Weitere Entlassungen in Ministerien und Militär

Gut vier Wochen nach dem gescheiterten Militärputsch hat die Regierung zudem weitere Massenentlassungen angekündigt. Betroffen seien das Außen- und das Innenministerium, sagte der stellvertretende Ministerpräsident, Numan Kurtulmus, am Montag. Auch beim Militär und bei der Küstenwache werde es nach einem entsprechenden Dekret Entlassungen geben.

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