Erdoğans "Hüter der Geheimnisse" als neuer Außenminister
Der Hardliner Hakan Fidan absolvierte in London seinen ersten Auslandsauftritt, traf Schallenberg und Blinken. Wer ist der verschwiegene Ex-Spionagechef?
"Ich werde die Vision der nationalen Außenpolitik weiter vorantreiben, die auf der Unabhängigkeit und Souveränität unserer Nation basieren wird."
Mit diesem Zitat und dem expliziten Hinweis auf eine rein von eigenen Interessen getriebene Außenpolitik wandte sich Anfang Juni einer an die Öffentlichkeit, den die türkische Bevölkerung seit über einem Jahrzehnt zwar kennt – wo Präsident Recep Tayyip Erdoğan hinging, war er stets nicht weit – , doch noch nie sprechen gehört hat. Ruhig und tief klingt Hakan Fidans Stimme.
Der 54-Jährige, der 13 Jahre lang an der Spitze des gut aufgestellten türkischen Geheimdienstes MIT stand und als einer der engsten Vertrauten Erdoğans gilt, hat die Aufmerksamkeit bisher gescheut. Als verschwiegener Mann der zweiten Reihe soll er im Hintergrund die Strippen der türkischen Außenpolitik gezogen haben, etwa bei der Wiederaufnahme der türkischen Beziehungen mit Israel, Ägypten und Saudi-Arabien, bei den Verhandlungen mit Libyen, Russland und Syriens Diktator Baschar al-Assad.
"Für ein auf eine Person ausgerichtetes Regime wie in der Türkei ist es eine wirkliche Ausnahme, dass eine Person so lange eine Machtposition innehat", sagt Cengiz Günay, Direktor des Österreichischen Instituts für internationale Politik.
Erdoğan vertraut Fidan. Wie sehr, wurde in der Vergangenheit deutlich: 2009 schickte er Fidan, den der Präsident einst seinen "Hüter der Geheimnisse" nannte, zu geheimen Friedensverhandlungen mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nach Oslo; später traf Fidan sogar den PKK-Führer Abdullah Öcalan. Als Fidan danach von der Staatsanwaltschaft befragt werden sollte, hielt ihm Erdoğan den Rücken frei und wehrte die Befragung ab.
Unklare Rolle bei Putschversuch
Ins Zwielicht geriet er nach dem Putschversuch 2016: Bis heute ist Fidans Rolle darin ungeklärt. So soll er frühzeitig vor dem Putschversuch gewarnt worden sein, allerdings nichts unternommen und Erdoğan auch nicht informiert haben. Die einen munkeln, er habe eigenmächtig entschieden, die Putschisten ins offene Messer laufen zu lassen – eine riskante Entscheidung. Die anderen stellen infrage, ob Erdoğan wirklich nicht vom Putschversuch wusste. Jegliche Ermittlungen dazu verliefen im Sande oder wurden eingestellt.
Nach dem Putschversuch hatte Fidan jedenfalls freie Hand bei der "Säuberung" des Staatsapparats und der Verfolgung von Staatsfeinden.
Beobachter glauben, dass Fidan für den Westen zwar umgänglicher sein werde als sein aufbrausender, leicht cholerischer Vorgänger Mevlüt Çavuşoğlu. Doch er gilt als "Hardliner". Die westlichen Außenminister dürften das beim Wiederaufbaugipfel der Ukraine in London bereits gemerkt haben.
Dort war, neben einem bilateralen Gespräch mit Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), auch eines mit US-Außenminister Anthony Blinken geplant – wahrscheinlich zum potenziellen Tausch von US-F16-Kampfjets gegen ein Ende der türkischen Blockade zu Schwedens NATO-Beitritt. "Fidan wird als Ex-Geheimdienstchef besonderen Einblick, etwa in die illegale Finanzierung der PKK, die die Türkei Schweden vorwirft, haben", so Günay. Er geht davon aus, dass die Türkei in mittelbarer Zukunft von ihrer Blockade ablässt.
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