Türkei als Sieger im Flüchtlings-Deal mit EU

Internationale Presse sieht Türkei als treibende Kraft. "Die Welt": Schlepperwesen immer einen Schritt voraus.

Der am Sonntag in Kraft getretene Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei ist auch am Montag Thema in den internationalen Tageszeitungen:

Hospodarske noviny, Prag: "Riesiger Sieg für Erdogan"

"Entsetzlich daran ist eins: Die Unterzeichnung des Abkommens ist ein riesiger Sieg für den autoritären türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der das Tauschprogramm vorgeschlagen und auf erpresserische Weise im Austausch gegen verschiedene Vergünstigungen durchgesetzt hat. Europa hat er das Messer an den Hals gesetzt: Entweder geht ihr auf alle Forderungen ein oder wir schicken euch weitere Millionen Flüchtlinge. Damit klar ist, mit wem wir hier die Ehre haben: Erdogan ist zwar ein demokratisch gewählter Politiker, er tut aber alles, um die Demokratie in seinem Land einzuschränken und seine eigene Macht zu erhalten. Ähnlich wie (der russische Präsident) Wladimir Putin schickt er innenpolitische Kritiker ohne Mitleid ins Gefängnis."

Diena, Riga: "Die EU zum Narren halten"

"Wenn sich etwa die EU auf Phrasen beschränkt und die Türkei die Unterdrückung der politischen Opposition und der Pressefreiheit fortführt, wer kann notfalls signalisieren, dass die Regierung dieses Landes in Wahrheit ihren Verpflichtungen in der Flüchtlingskrise nicht nachkommt? Das autoritäre Regime wird in der Lage sein, die EU weiter zum Narren zu halten und zusätzliche Privilegien nachfragen, aber ihre Verpflichtungen außer Acht lassen. Die lokale Opposition, auch wenn sie Eigeninteressen verfolgt, und eine freie Presse könnten so etwas wie ein angemessener Kontrollmechanismen sein."

Die Welt, Berlin: "Schleuser steuern die Wirklichkeit"

"All das ist historisch neu. Denn hier hat sich ein kriminelles Netz, eine Unterwelt ähnlich der weltweiten Drogenmafia, entwickelt. Gehandelt wird mit Mobilität, sie ist die neue Ware. Diesen Geist bekommt man nie mehr in die Flasche, denn das Geschäft sucht sich immer neue Kunden. Man freue sich also nicht zu früh, dass die Balkanroute 'dicht' scheint: Vielleicht wird man bald über den 'failed state' Libyen nach Italien oder via Marokko gen Spanien nach Kerneuropa kommen wollen. Die kriminelle Energie ist raffinierter als jede politische und gar rechtsstaatliche Vernunft. Es ist wie bei Hase und Igel. Die Schleuser steuern die Wirklichkeit, nicht der EU-Gipfel. Wir erleben gerade das Ende der Illusion, hier ließe sich etwas 'lösen'."

Rossijskaja Gaseta, Moskau: "In der Realität schwer umzusetzen"

"Der schön auf dem Papier festgehaltene Austauschplan notgedrungener Umsiedlungen nach dem Schema 'einer für einen' ist in der Realität schwer umzusetzen. (...) Nach Einschätzung europäischer Experten tritt der Plan zum Austausch illegaler Einwanderer, die nach Europa gelangt sind, gegen Flüchtlinge aus Syrien nicht früher als April in Kraft. Die technischen Schwierigkeiten, deretwegen die Umsetzung des Deals sich verzögert, beunruhigen Ankara nicht besonders. (...) Außerdem nimmt Brüssel alle Ausgaben für die Flüchtlinge auf sich. Und das bedeutet, dass die türkische Seite durch das Abkommen bislang deutlich mehr gewinnt als die europäische."

Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Bisher beste Handhabe"

"Wer jetzt noch auf eine der griechischen Inseln übersetzt, der riskiert, dass er in kürzester Zeit in die Türkei zurückgebracht wird. Das dürfte nicht ohne Wirkung bleiben. ... Das Abkommen mit der Türkei ist weder politisch, rechtlich noch moralisch völlig zufriedenstellend. Es ist aber die bisher beste Handhabe, die Europa gefunden hat, um einen völlig inakzeptablen Zustand an seiner südlichen Außengrenze zu beenden und einem Ziel näher zu kommen, das doch (fast) alle wollen: den Zustrom zu verringern. Das teilen angeblich die vielen politischen Widersacher der Kanzlerin im In- und Ausland. Wem es um die Sache geht, wird abwarten, wie weit Merkels Plan trägt, der die EU-Staaten immerhin wieder etwas zusammengeführt hat."

Lidove noviny, Prag: "Höchst unberechenbarer Partner"

"Die Türkei ist ein höchst unberechenbarer Partner, und es ist nicht auszuschließen, dass bei ihr mit dem Essen der Appetit wächst. Das Land hat jetzt schriftlich, dass Europa von ihm abhängig ist, und einer solche Versuchung ist nur schwer zu widerstehen. Das EU-Türkei-Abkommen ist das Werk Angela Merkels - im Falle eines Erfolges ist es ihr Sieg und bei einem Misserfolg ihre Niederlage. Ihrer Ansicht nach gibt es dazu keine Alternative, obwohl Länder wie Österreich und Ungarn mit der Schließung der Balkanroute gezeigt haben, dass es sehr wohl eine gibt. Es ist erstaunlich, was die Bundeskanzlerin alles bereit ist zu unternehmen, nur um ihre Willkommenspolitik gegenüber Migranten nicht aufgeben zu müssen."

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