Tsipras fährt höchstes Risiko und wirkt dabei entspannt

Tsipras fährt höchstes Risiko und wirkt dabei entspannt
Mit der Ausrufung des Referendums hat Tsipras die griechische Gesellschaft polarisiert.

Mit einem Dauerstrahlen im Gesicht stellte sich Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras in seinem Athener Wahllokal am frühen Sonntagmorgen dem Blitzlichtgewitter internationaler Medien. Noch mehr als in den Tagen zuvor waren alle Blicke auf den 40-Jährigen gerichtet: Die Volksabstimmung galt auch als Entscheidung über Tsipras’ Politik – und das politische Schicksal des linken Regierungschefs. Um das Referendum nicht zu einem Ja oder Nein über seinen Verbleib an der Macht zuzuspitzen, hatte Tsipras seine vagen Rücktrittsankündigungen im Fall eines Ja der Griechen auch zurückgezogen.

Der Live-Bericht vom Referendum zur Nachlese

Beobachter in Athen wundern sich dieser Tage, dass Tsipras mit all dieser Verantwortung, die doch bleiern auf seinen Schultern liegen müsste, noch immer keine schlaflosen Nächte hat. Zumindest wirkt er so.

Verlorenes Vertrauen

Tsipras und sein linkes Syriza-Bündnis samt Finanzminister Yanis Varoufakis fahren jedenfalls einen riskanten Kurs. Kein Mensch kann seriöserweise sagen, welche Folgen die Verweigerungspolitik Tsipras’ noch haben wird. Unbestritten ging enorm viel Vertrauen damit bei den europäischen Verhandlungspartnern den Bach hinunter. Der Grieche hat es sich selbst mit ihm wohlgesonnenen Politikern wie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz oder EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verscherzt.

Bis heute bleibt Tsipras selbst Griechen ein Rätsel. "Er hat viele Gesichter. Ich kann ihn nicht einstufen. Ein sogenanntes Janusgesicht", sagt ein erfahrener Psychologe aus der griechischen Hafenstadt Thessaloniki. Der Jungpolitiker wirkt höflich, ist meist lächelnd oder scherzend zu sehen, doch im nächsten Moment wettert er mit geballter Faust gegen den Neoliberalismus, beschwört die "Demokratie" und "die Würde" der Griechen.

Viele Griechen befürchten, dass der Tsipras-Kurs das von der Pleite bedrohte Land aus der Euro-Zone herausführen könnte. Innergriechisch hat der Syriza-Chef, der schon als Schüler in der Kommunistischen Jugend politisch sozialisiert wurde, mit der Ausrufung des Referendums die Gesellschaft polarisiert‚ ein Mal mehr – nach den bitteren Erfahrungen des Bürgerkrieges nach dem Zweiten Weltkrieg und der Militärjunta (1967 bis 1974) – tief gespalten.

Auch ohne "Grexit", dem Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone, haben die Griechen genügend Sorgen: Jeder Vierte ist arbeitslos, die Staatseinnahmen sind im Sinkflug, die Wirtschaft schrumpft weiter, Kapital ist in großen Mengen abgeflossen, die Banken sind zu. Griechen und Europäer warten wie erstarrt, was kommt.

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