Ukraine-Chaos: Rubio räumt Scherben auf, die Vance und Witkoff hinterlassen

SWITZERLAND-US-UKRAINE-RUSSIA-CONFLICT-DIPLOMACY
Amerikas Ukraine-Politik gleicht einem Chor der Widersprüche, der nicht nur in Europa die Frage aufkommen lässt, wer bei dem außenpolitischen Streitthema Nr. 1 eigentlich die Federführung hat.

Der 28-Punkte-Plan, der Kiew faktisch zu einem von Moskau mitformulierten Diktatfrieden drängen sollte und unter der Schirmherrschaft von Donald Trumps Sondergesandtem Steve Witkoff und dem Wladimir Putin-Vertrauten Kirill Dmitriev den Weg in die Öffentlichkeit fand, hat nach Ansicht von Washingtoner Denkfabriken nicht nur die „Kakofonie gegensätzlicher Machtzentren” offen gelegt. Sondern auch eine aufkeimende Rivalität um Trumps Erbe 2028 und damit um die Frage, wer der künftige „America First“-Architekt wird.

Die Protagonisten: Vizepräsident JD Vance, nahe bei Witkoff und seit Langem für einen schnellen, schmerzhaften Friedensschluss zugunsten Russlands, verfolgt einen populistischen Kurs, der Trumps Launenhaftigkeit nahekommt: möglichst schnelle, finanziell attraktive Deals, Kostenreduktion für Amerika, geopolitische Abkoppelung Europas von den USA. Vances Credo: „Frieden wird von smarten Leuten erreicht, die in der Realität leben", nicht von "gescheiterten Diplomaten": Vance, davon sind in republikanischen Kreisen viele überzeugt, nutzte Witkoff, der sein Verständnis für Wladimir Putin mehrfach offen geäußert hat, „als Vehikel für eine russlandfreundlicher Linie”.

Rubio war als Senator ein Russland-Falke

Dagegen setzt Außenminister Marco Rubio, als Senator ein Russland-Falke gewesen, auf klassische außenpolitische Linien: institutionelle Diplomatie, NATO-Bindung, Abschreckung gegenüber Moskau und  - im aktuellen Fall wichtig - Einbindung Kiews in alle Überlegungen über eine Beilegung des bald vier Jahren andauernden Krieges. 

Wozu diese Frontstellung führt, die beide Beteiligten dementieren, haben die vergangenen 72 Stunden gezeigt. Nachdem Putin-Emissär Dmitriev den Plan, der fast 1:1 russische Forderungen über territoriale Zugeständnisse der Ukraine und den künftigen Einfluss Moskaus in Europa zementieren würde, enthusiastisch gelobt hatte, goss der außen vor gelassene „Secretary of State” gegenüber Abgeordneten beider Parteien kaltes Wasser auf die Angelegenheit.

"Wunschliste" Moskaus

Er sprach lediglich von einer „Wunschliste”, die Moskaus Handschrift trage. Weil in der Zwischenzeit Präsident Trump das Papier aber für tauglich befunden und Kiew eine Frist zum 27. November zur Unterzeichnung gesetzt hatte, ruderte Rubio aus Sorge vor einem Konflikt mit Vance zurück und beanspruchte die US-Urheberschaft für das Dokument, das nach Überzeugung europäischer Regierungen (Ausnahme: Ungarn, Slowakei) unannehmbar ist. 

Um die öffentliche Blamage des ersten Plan-Entwurfs zu dämpfen und die Bedenken der Europäer und Kiews aufzunehmen, schaltete Rubio diplomatisch drei Gänge höher und setzte in Genf mit der Ukraine Reparaturarbeiten an. Witkoff war bei den Gesprächen am Sonntag, bei denen laut Insidern zahlreiche für Kiew brisante Punkte „entschärft oder komplett gestrichen“ worden seien, nur noch Statist. 

Rubio war es, der am Ende für die USA vom „bisher produktivsten Verhandlungstag” sprach, bei dem „erhebliche Fortschritte” gemacht worden seien. Was noch strittig ist, sei nicht „unüberwindbar”. Kiew Chef-Verhandler Andrey Yermak bestätigte das. Was Rubio danach Präsident Trump, der sich launisch über die „Undankbarkeit” der Ukraine für seine Friedensbemühungen beschwert hatte, über die versuchte Schadensbegrenzung in der Schweiz mitteilte, ist nicht bekannt. Das Weiße Haus aber scheint vorläufig zufrieden zu sein. Es gebe einen „aktualisierten und verfeinerten Friedensrahmen”, der die „Sicherheit, Stabilität und den Wiederaufbau der Ukraine gewährleistet”, hieß es in einer Stellungnahme. 

Offiziell sind keine Inhalte bekannt. Im Umfeld des US-Außenministeriums hieß es aber am Montag, dass Kiew nach einem Friedensschluss Sicherheitsgarantien erhalten soll, die gleichwertig seien mit dem in Nato-Artikel 5 festgelegten Beistandspakt. Auch die russische Forderung nach Reduzierung der ukrainischen Streitkräfte auf 600.000 Soldaten sei wegverhandelt; die Rede ist nun von 800.000.

Krieg auf „ehrenwerte und gerechte Weise” beenden 

Ein Aspekt, der einflussreichen Republikanern gefallen dürfte, die hart mit dem Witkoff-Dmitriev-Plan ins Gericht gehen. Senator Lindsey Graham warnte davor, dass ein Friedensabkommen den Krieg auf „ehrenwerte und gerechte Weise” beenden müsse – und nicht einen „neuen Konflikt” schaffen dürfe. Kollege Mitch McConnell sekundiert: „Es wäre ein Debakel für Amerikas Interessen, wenn Russlands Gräueltaten belohnt würden.”

Dank Rubio, so berichten Diplomaten, ist die von Trump gesetzte Frist, bis zum Thanksgiving-Feiertag zu einer Einigung zu kommen, vom Tisch. Dem Vernehmen nach soll Trump, der des Krieges vollkommen überdrüssig ist, demnächst im Zweier-Gespräch mit Wolodimir Selenskij über bisher ausgeklammerte Punkte (Stichwort: Gebietsabtretungen) reden. Auch ein erneuter Besuch des ukrainischen Präsidenten in Washington ist nicht ausgeschlossen.

Damit sei der wichtigste Part aber noch nicht abgedeckt. Wie Wladimir Putin auf die zu Russlands Ungunsten entschärfte Version des angeblich auf 20 Punkte zurechtgestutzten Friedensplans reagiert, ist „noch nicht berechenbar”, sagte ein republikanischer Russland-Experte in Washington. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Kreml-Herrscher Trump wie schon beim Gipfel in Alaska „um den Finger wickelt und weiter hinhält”.  

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