Sie kam dank eines Trump-Deals frei und konnte doch nur weinen

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Von der Haft in der belarussischen Strafkolonie Nr. 4 ins erzwungene Exil: Eine politische Gefangene erzählt.

„Warum weinst du?“, fragte der Gefängniswärter die in Tränen aufgelöste Larysa Shchyrakova, „du kommst frei!“ Doch die Freiheit, die sich die belarussische Journalistin und Historikerin in den vergangenen drei Jahren Gefängnis so sehr herbeigesehnt hatte, sollte sich als eine ganz andere als erhofft erweisen: Ohne Erklärung wurden sie und rund fünf Dutzend andere politischen Häftlinge Mitte September aus ihren Zellen geholt, in Busse gesteckt, an die Grenze zu Litauen gekarrt – und aus dem Land geworfen.

Nur einer von ihnen, der langjährige Oppositionspolitiker Mikola Statkevich, weigerte sich, die Grenze zu überqueren. Seither fehlt jede Spur von ihm – er dürfte sofort wieder in ein Gefängnis gebracht worden sein. „Das war aus meiner Sicht eine Heldentat“, schildert Shchyrakova in Wien auf Einladung von Amnesty International einigen Journalisten, „aber ich wäre nicht dafür bereit gewesen.“

Strafkolonie Nummer 4

Die Mutter eines mittlerweile 19-jährigen Sohnes wollte nicht noch einmal zurück in die berüchtigte Strafkolonie Nr. 4 für Frauen in der zweitgrößten belarussischen Stadt Gomel. Dort sitzen rund 1.300 Frauen ein, mehr als hundert von ihnen sind politische Gefangene: Frauen, die aus Sicht der Diktatur von Langzeitherrscher Alexander Lukaschenko „extremistischen Tätigkeiten“ – also freiem Journalismus – nachgegangen sind oder das „Vaterland diskreditiert“ haben.

Als Zeichen ihrer „politischen Vergehen“ müssen die Verurteilten ein gelbes Emblem auf ihrer Gefängniskleidung tragen. Unter ihnen befindet sich auch die prominenteste politische Gefangene des Landes – die Musikerin Maryia Kalesnikava.

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Zu elf Jahren Haft verurteilt: Maryia Kalesnikava

Abgemagert und krank

Seit mittlerweile fünf Jahren sitzt die Frau, die zusammen mit Oppositionsführerin Svetlana Tichanowskaja im Sommer 2020 eigentlich die Präsidentenwahlen gewonnen hatte, in Haft. Eineinhalb Jahre davon musste die heute 43-Jährige in Einzelhaft ausharren. Seit einem Jahr hatte die stark abgemagerte und magenkranke Musikerin keinen Kontakt zur Außenwelt mehr.

Als US-Gesandte im Sommer mit der Führung in Minsk über die Freilassung von politischen Gefangenen verhandelten, war die Hoffnung groß, dass auch Kalesnikava freikommen könnte. Doch sie blieb in Haft – möglicherweise, weil sie sich weiterhin weigert, ein Schuldeingeständnis zu unterschreiben.

Larysa Shchyrakova hat ihre prominente Mitgefangene nur einmal von Weitem gesehen: Schmal und gebeugt habe Maryia gewirkt, schildert die freigelassene, heute in Vilnius lebende Belarussin. „Sie hat sich abgewendet, ich wusste nicht, ob sie mit niemandem sprechen darf oder ob sie nicht sprechen konnte.“

Rund 1.250 politische Gefangene listet die belarussische NGO „Viasna“ derzeit auf. Tatsächlich dürfte die Dunkelziffer weitaus höher sein, mutmaßt man bei Amnesty in Wien.

Inhaftiert wird in der einzigen Diktatur Europas jeder, der sich kritisch äußert oder an Protesten teilnimmt: Blogger, Geschäftsleute, Demonstranten, Oppositionelle, Menschen, die ausländischen Medien kritische Interviews geben. Mehr als 50.000 Menschen bekamen die eisenharte Hand des Regimes in den vergangenen fünf Jahren zu spüren – manche wurden nur für einige Tage eingesperrt, andere sitzen seit Jahren. Wer in der Haft einen Wärter verärgert, landet in der gefürchteten Strafzelle: klein, eiskalt, ohne Matratze. Auch bei Minustemperaturen bleibt das Fenster tagsüber offen.

FILE PHOTO: FILE PHOTO: Belarusian President Alexander Lukashenko meets with John Coale, a representative of U.S. President Donald Trump, in Minsk

Belarussischer Diktator Alexander Lukaschenko

In der Haft gestorben

Sieben politische Gefangene sind seither in der Haft gestorben, weil sie medizinisch nicht ausreichend versorgt wurden. Auch Maryia Kalesnikava soll es sehr schlecht gehen, will ihre ehemalige Mitgefangene Larysa Shchyrakova noch in der Strafkolonie Nr. 4 gehört haben: „Nach ihrer Magenoperation bekommt sie die Medikamente nicht, die sie brauchen würde.“

Aller politischer Druck aus dem Ausland, teils auch aus Österreich, hat bisher wenig bewirkt, die Lage der vielen politischen Gefangenen in Belarus zu verbessern. Als Gegenleistung für die Freilassung von rund 60 politischen Gefangenen im September, darunter von Larysa Shchyrakova, hoben die USA die Sanktionen gegen die belarussische Fluglinie Belavia auf. Weitere politische Lockerungen in der belarussischen Hauptstadt Minsk aber bleiben aus.

Die ins litauische Exil gezwungene Ex-Journalistin Shchyrakova will dennoch nicht verzweifeln. „Heim kann ich erst wieder, wenn die Diktatur fällt. Aber so stark die Diktatur auch derzeit erscheint, manchmal können sich die Dinge auch ganz plötzlich ändern.“

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