Lukaschenko lässt sich wieder wählen: "Solche Regime halten nicht ewig"

Seit Juli war Siarhei Antusevich nicht mehr zu Hause, er lebt in Deutschland im Exil – als politischer Flüchtling. Zurück wird der 51-Jährige erst wieder können, wenn Aleksandr Lukaschenko nicht mehr an der Macht ist: Antusevich ist Gewerkschaftsführer, und weil er 2020 wie Tausende andere auf die Straße ging, um gegen die Wahlfälschungen des Langzeitdiktators zu protestieren, gilt er jetzt als Staatsfeind.
Am heutigen Sonntag wird in Belarus wieder gewählt, der 70-jährige Lukaschenko wird sich wieder zum Sieger küren. Antusevich muss das vom Ausland aus beobachten – vor dem Wahltag war er auf Einladung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes in Wien.
KURIER: Sie saßen zwei Jahre in Haft, angeblich wegen extremistischer Umtriebe. Was war der echte Grund?
Siarhei Antusevich: Verurteilt wurde ich, weil ich an den Protesten gegen Lukaschenkos Wahl 2020 teilgenommen habe – da war damals aber das ganze Land dabei. Der echte Grund waren meine Gewerkschaftsarbeit und meine Haltung.

Siarhei Antusevich (51) ist Vizechef des belarussischen Kongresses der Demokratischen Gewerkschaften (BKDP), seit einem halben Jahr lebt er im Exil in Deutschland. Dort arbeitet er für Salidarnast, einer Organisation der belarussischen Gewerkschafter im Exil
Wie sind die Bedingungen in Lukaschenkos Gefängnissen?
Zunächst war ich beim KGB in einer sehr kleinen Zelle, wir waren zu viert. Aber wir hatten zumindest fließendes Wasser, das hatten nicht all meine Kollegen. Zweimal täglich durfte ich aufs Klo – das war eine Art von Folter.
Bei der Überstellung in die Strafkolonie, wo wir dann 18 Personen in der Zelle waren, saß mir ein Mörder gegenüber, er war zu 19 Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte keine Handschellen, ich – der fürs Protestieren in Haft saß – hatte welche.
Durften Sie Kontakt mit Ihrer Familie haben?
Dreimal bekam ich überraschend Besuch. Sonst hatten wir nur schriftlich Kontakt, die Zensur ließ aber nicht alle Briefe durch. Meine Frau und ich lernten daher, zwischen den Zeilen zu schreiben.
Wie übersteht man das?
Mir hat geholfen, dass ich wusste, dass man weltweit von unserer Verhaftung weiß, sich auch die UN-Arbeitsorganisation (ILO) für meine Freilassung einsetzt. Informationen bekamen wir nur von Verwandten, die belarussischen Zeitungen berichteten ja nichts – der Chefredakteur der größten Wirtschaftszeitung saß neben mir in Haft.
Erwarten Sie, dass sich am Sonntag die Proteste und Verhaftungswellen von 2020 wiederholen werden?
Ich glaube nicht, dass es wieder so eskaliert. Die Menschen sind verängstigt. Auf der Straße kann man jederzeit von der Polizei nach dem Handy gefragt werden, wer gewisse Telegramchannels abonniert hat, wird bestraft. Jeder hat Angst, seine wenigen Freiheiten zu verlieren.
2020 gab es mit Swetlana Tichanowskaja und Maria Kolesnikowa Herausforderer, die auch im Westen bekannt waren. Gibt es bei dieser Wahl ernst zu nehmende Kandidaten?
Nein. Ich habe mir die Fernsehdebatten angesehen. Da sagte der kommunistische Kandidat, jeder wisse, wer siegen werde – es gehe nur mehr darum, wer auf Platz zwei lande. Lukaschenko hat ihn dafür gelobt, mehr muss man über die Wahl nicht wissen.
Das Ganze erinnert mich an meine Kindheit in der UdSSR. Meine Großmutter sprach damals von Abstimmungen, nicht von Wahlen. Jetzt ist es wieder so: Wir können abstimmen, haben aber keine Wahl.
Wenn alle über die Farce Bescheid wissen, wofür wird dann überhaupt gewählt?
Lukaschenko will die Legitimation. Angeblich kommen 500 Wahlbeobachter aus dem Ausland, irgendwelche Geschäftsleute oder angebliche Experten. Das ist zwar lächerlich, aber so kann er im TV echte Wahlen vorgaukeln.

Nach der Scheinwahl 2020 eskalierten die Proteste, Tausende wurden inhaftiert
Hat die Angst, vor einem russischen Überfall Lukaschenko gefestigt?
Ja, es scheint so. Die Propaganda erzählt auch tagtäglich, dass dem Land ohne Lukaschenko dieselben Verhältnisse drohen würden wie der Ukraine. Sie wird als instabiles Land dargestellt, das schon viele Präsidenten hatte, während sich Lukaschenko als Garant der Stabilität inszeniert.
Niemand in Belarus will Krieg, alle fürchten sich davor – aber die Leute sehen auch, wie weit es mit uns gekommen ist: Wir haben ringsum nur Feinde, unser einziger Freund ist Russland. Wir sind völlig von Moskau abhängig. Lukaschenko besucht Putin jeden Monat, russische Gouverneure kommen ständig nach Belarus.
Wie präsent ist die Gewerkschaftsbewegung in Belarus überhaupt noch?
Die unabhängigen Gewerkschaften agieren alle im Untergrund. Auch meine Gewerkschaft, die BKDP, ist 2022 vom Obersten Gericht verboten worden. Aber die UN-Arbeitsorganisation übt Druck auf Minsk aus, das rückgängig zu machen – wir bewegen uns immerhin in die richtige Richtung.
Können Sie vom Ausland aus etwas in Belarus verändern? Und was würde geschehen, wenn Sie zurückkehren?
In Belarus würde ich wieder unter einem Vorwand verhaftet werden oder zu niederen Arbeiten gezwungen werden. Der soziale Status wird einem absichtlich geraubt, sie wollen einen brechen.
Ich bin froh, dass ich in Deutschland ohne Angst auf die Straße gehen kann. Aber ich weiß leider nur zu gut, dass man aus dem Exil nur wenig erreichen kann. Aber Regime wie jenes von Lukaschenko halten ja nicht ewig. Man muss das richtige Möglichkeitsfenster finden, um aktiv zu werden – ich glaube, das wird bald der Fall sein. Lukaschenko ist seit 30 Jahren an der Macht, und kein Mensch lebt ewig.
Kommentare